Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Julischatten

Julischatten

Titel: Julischatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
Medizinmann«, fragte sie, »kann der auch richtige Krankheiten heilen? Ich meine, Krebs zum Beispiel?«
    »Ein Medizinmann ist kein Wunderheiler«, sagte Lukas, »aber er kann versuchen, mithilfe der Geister in einer Zeremonie die Ursache der Krankheit herauszufinden. Manchmal setzt das die Selbstheilungskräfte in Gang.«
    Zuerst dachte Sim, er wollte sie auf den Arm nehmen, als er von Geistern sprach, aber Lukas’ Miene zeigte keinerlei Spott und sie begriff, dass er es ernst meinte.
    Nachdem Lukas sich verabschiedet hatte, ging Sim in ihr Zimmer. Sie fühlte sich völlig erschlagen von den Ereignissen des Tages, wollte sich nur noch in ihrem Bett verkriechen und die Decke über den Kopf ziehen. Doch so erschöpft und müde sie auch war, der Schlaf wollte nicht kommen. Immer wieder schob sich das Bild des sterbenden Fohlens vor ihre Augen. Sie schwitzte und wälzte sich auf ihrem Bett herum, lag schließlich auf dem Rücken und starrte an die Decke.
    Zum ersten Mal, seit sie hier war, verspürte sie so etwas wie Heimweh. Sie hatte Sehnsucht nach der normalen, geordneten Welt zu Hause, die ohne derart unangenehme Überraschungen war. Der Wunsch, sich mit etwas Hochprozentigem wegzubeamen, überkam sie stärker als je zuvor.
    Als ihre Blase drückte, ging Sim ins Bad und sah, dass Michaels Zimmertür weit offen stand. Der Lichtstreifen aus ihrem Zimmer fiel auf sein Bett und seinen Rucksack, der an der Wand lehnte. Sim lauschte und hörte eindeutige Laute aus dem Zimmer ihrer Tante. Ein totes Fohlen war es jedenfalls nicht, was die beiden gerade beschäftigte.
    Sim hatte bloß einen kurzen Blick in Michaels Zimmer werfen wollen, doch dann sah sie hinter seinem Rucksack die Hälse zweier Weinflaschen hervorlugen. Und ehe sie an die Folgen denken konnte, war sie auch schon hineingegangen und hatte eine davon an sich genommen.
    Sie versteckte die Flasche unter ihrem Kopfkissen, ging pinkeln und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Zu ihrem Glück hatte die Weinflasche einen Schraubverschluss. Sim öffnete ihn, setzte die Flasche an und trank. Schon wenige Minuten später merkte sie, wie ihre Gedanken von dem toten Fohlen wegdrifteten und sich ihr Heimweh samt Fluchtgedanken in Luft auflöste.
    Wenn man sich nicht wirklich vom Acker machen konnte, blieb einem nur, es im Kopf zu tun. Der Alkohol war das Fortbewegungsmittel auf dieser Reise. Bier war wie ein Bummelzug. Langsam und manchmal kam man nicht ans Ziel. Wein war der ICE und Tequila… Tequila war der Düsenjet.
    Sim nahm einen weiteren kräftigen Schluck und hörte erst damit auf, als sie ausreichend betrunken war. Sie schraubte die fast leere Flasche zu und versteckte sie unter den Kleidungsstücken in ihrer Tasche. Wenige Minuten später schlief sie endlich ein.

14. Kapitel
    Es war kein schlimmer Kater, mit dem Sim am Morgen aufwachte, aber sie hatte Kopfweh und einen trockenen Mund. Das Frühstück stand auf dem Tisch und ihre Tante trieb sie zur Eile. Ein Großeinkauf in Rapid City stand auf dem Programm.
    »Vergiss deine Liste nicht«, sagte Jo. »Wir werden alles besorgen, was du für den Trailer brauchst.«
    Mühsam versuchte Sim, einen klaren Gedanken zu fassen. Am kommenden Sonntag würde die niederländische Familie eintreffen und bis dahin musste der Trailer bezugsfertig sein. Ihre Liste, wo war die gleich noch mal? Sim stöhnte. Im Augenblick war ihr alles zu viel.
    Michael trug leere Wasserkanister nach draußen ins Auto, und als er zu ihnen zurückkam, machte er ein geheimnisvolles Gesicht. »Kommt mal mit«, sagte er.
    Sie folgten ihm nach draußen, und als sie ein paar Holzstufen nach unten gestiegen waren, hörte Sim ein vielstimmiges Fiepen. Sie beugten sich herunter, um unter die Stufen schauen zu können. Da lagen sie, ein Knäuel aus rosa Schnauzen, tapsigen Pfötchen, Schlappohren und winzigen Schwänzen – Junipers Nachwuchs.
    Juniper kam über die Wiese gelaufen und Sim machte ihr respektvoll Platz. Jo streichelte und lobte die Hündin, dann spendierte sie Juniper eine Sonderportion Futter.
    »Du wirst deinen Spaß mit ihnen haben«, sagte Michael lächelnd.
    Sim zuckte mit den Achseln. Wenn er glaubte, die Welpen würden sie über das Fohlen hinwegtrösten, lag er falsch. Aber wenigstens hatte er das Fehlen der Weinflasche noch nicht bemerkt.
    Schon am Vormittag wurde es wieder unerträglich heiß und Sim wünschte, sie würde in Michaels klimatisiertem Geländewagen sitzen, der hinter ihnen fuhr. Sie brauchten fast zwei Stunden bis

Weitere Kostenlose Bücher