Julischatten
reißt es dir die Hand ab. Und sieh zu, dass sie dir nicht ihr Hinterteil zuwendet.« Jo öffnete den Zaun. »Binde sie im Korral an, damit du das Tor offen lassen kannst.«
Sim führte Ebony vom Hügel. Immer auf genügend Abstand bedacht, lief sie neben der Stute her, deren Fell glänzte wie das einer Robbe. Pferde waren geheimnisvolle Tiere mit einem ebenso geheimnisvollen Eigenleben und Sim empfand großen Respekt vor ihnen.
Vom Korral aus verfolgte sie, wie ihre Tante und Michael versuchten, Angel vom Fohlen zu trennen. Die Pferde wurden immer aufgeregter, sie stiegen und wieherten und Angel schlug aus, um die Zweibeiner daran zu hindern, ihr das Fohlen wegzunehmen. Sim stand wie gelähmt im Korral, streichelte Ebony und sah dem Ganzen mit wachsender Skepsis zu.
Jo schaffte es schließlich, Angel und das Kleine von den anderen Pferden abzudrängen und durch das Tor im Zaun zu bringen. Michael schloss das Tor, bevor die übrigen Pferde ihnen folgen konnten.
Es dauerte noch einmal eine halbe Stunde, bis Michael das Fohlen einfangen und in den Korral bringen konnte. Begleitet von Angels verzweifelten Schreien versuchte Jo, Ebony mit ihrem Fohlen zusammenzubringen. Aber dann musste sie zurück zum Haus und den Laden öffnen, denn die ersten Kunden warteten schon vor der Tür.
»Lassen wir sie erst einmal für eine Weile in Ruhe«, sagte sie, »vielleicht besinnt Ebony sich ja noch.«
Michael hatte einen Termin am College in Kyle, und nachdem er geduscht und einen Kaffee getrunken hatte, machte er sich dorthin auf den Weg. Jo hatte den ganzen Vormittag über Kundschaft im Laden, deshalb blieb ihr keine Zeit, um nach Ebony und ihrem neugeborenen Fohlen zu sehen.
Um sich abzulenken, schrubbte Sim die Küche im Trailer, rückte dem uralten Dreck mit Handschuhen und scharfen Putzmitteln zu Leibe. Zwischendurch lief sie immer wieder zum Korral, in der Hoffnung, das Fohlen endlich trinken zu sehen. Aber es stand nur mit traurig hängendem Kopf da und Ebony beachtete es überhaupt nicht.
Rabenmutter, dachte Sim mit zugeschnürter Kehle.
Gegen eins aßen Jo und Sim eine Kleinigkeit, und weil endlich einmal keine Kundschaft im Laden war, gingen sie zusammen zum Korral. Der Blick ihrer Tante verhieß nichts Gutes. »Hat sie es trinken lassen?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Das sieht nicht gut aus.«
»Wir können es mit der Flasche aufziehen«, sagte Sim. »Es hat bestimmt schrecklichen Durst.«
Jo presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Das bringt nichts, Simona. Ein Fohlen braucht die erste Milch seiner Mutter, da sind die ganzen lebenswichtigen Abwehrstoffe drin. Bekommt es die nicht, wird es immer schwach bleiben und kränkeln. Ich würde es nicht durch den Winter kriegen.«
Es brauchte eine Weile, bis Sim dämmerte, dass ihre Tante soeben das Todesurteil für das Fohlen gesprochen hatte. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Doch, Simona. Ich habe das alles schon mal hinter mir. Schlaflose Nächte, Tierarztkosten, die teure Aufzuchtmilch – und am Ende ist mir das Tier trotzdem gestorben. Wir sind hier nicht in Deutschland, wo viele Tiere zum Teufel komm raus am Leben gehalten werden.«
»Aber… können wir es nicht wenigstens versuchen? Ich würde mich auch kümmern. Ich würde es gerne tun«, sagte Sim und untermauerte ihren Vorschlag mit einer leidenschaftlichen Geste.
»Es hat keinen Sinn, hörst du?« Jo legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter, doch Sim schüttelte sie ab. »Bring ihnen Wasser, mehr können wir nicht tun«, sagte ihre Tante und ging zum Haus zurück.
Tränen rannen über Sims Wangen. Sie hasste ihre Tante dafür, dass sie dem Fohlen keine Chance gab. Dass sie ihr keine Chance gab zu beweisen, dass sie es retten konnte. Auf zitternden Beinen stand es da und sein Kopf wurde ihm so schwer, dass er immer tiefer sank, bis das Maul fast den Boden berührte.
Sim füllte Wasser in einen Eimer und stellte ihn in den Korral. Sie überwand ihre Furcht und versuchte, abwechselnd Ebony zu ihrem Fohlen zu führen oder das Kleine zu seiner Mutter. Es war geschwächt, doch Sim hatte Mühe, es vorwärtszuschieben. Jeder Schritt ein Akt. Einige Male gelang es ihr, das Fohlen unter seine Mutter zu schieben, aber immer, wenn es den Kopf nach den rettenden Zitzen ausstreckte, zwackte Ebony zu und es lief erschrocken davon. So verging der Nachmittag.
Das Fohlen wurde immer müder und kraftloser. Schließlich musste Sim zusehen, wie seine Vorderbeine einknickten und es zu Boden
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