Julius Lawhead 2 - Flammenmond
Platz. Sie schlang ihre Arme um meine Mitte und legte ihren Kopf an meine Brust. Andächtig lauschte sie meinem Herzschlag. Der stete Rhythmus ließ sie nach und nach ruhiger werden.
»Ich kann ihn nicht hören, ich kann ihn nicht hören«, wimmerte sie leise. »Ist er tot, Julius?«
»Nein, Brandon lebt. Coe benutzt einen Turmalin, damit er keinen Kontakt aufnehmen kann.«
»Wir holen ihn?«
»Ja, das machen wir«, versicherte ich und versuchte, überzeugend zu klingen.
»Hoffentlich tut er ihm nicht weh.«
Ich musterte Christina. Brandon hatte ihr zwar nichts von dem Missbrauch erzählt, aber hatte er sonst noch etwas vor ihr verheimlicht? Wie viel wusste sie von der Hölle, die er bei seinen Schöpfer durchlebt hatte?
»Als dieser Coe auftauchte, habe ich Brandon nicht mehr wiedererkannt«, berichtete sie mit brüchiger Stimme. »Er hatte so schreckliche Angst, Julius, es war furchtbar, und er hat mich fortgeschickt. Ich sollte einfach gehen.«
»Er wollte dich schützen. Brandon hatte keine andere Wahl. Coe ist sein Schöpfer. Seine Eide zählen stärker als die meinen.«
»Wirst du Brandon bestrafen, wenn wir ihn finden?«, fragte sie unsicher.
Was für ein absurder Gedanke. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht.«
»Versprochen?«
»Ja, bei meinem Ehrenwort.«
Ich ließ einige Minuten verstreichen, bevor ich Christina mit meinem Wunsch konfrontierte. »Bevor wir den Rat erreichen, musst du deine Erinnerung mit mir teilen.«
Als ich ihren Kopf sanft herumdrehte, wehrte sie sich kurz, dann tauchte ich durch ihre verweinten Augen ins Gestern.
Christina lag wie tot in meinen Armen.
Ich schauderte. Ich hatte alles gesehen, alles. Wie Brandon versuchte, Christina zu schützen, wie Coe ihn erst mit seiner Magie angriff und dann zusammenschlug.
Brandons Versuch, sich mit einem Sprung in die Tiefe umzubringen, hatte seine Freundin scheinbar nicht einmal bemerkt. In mir weckte es eine neue Angst. Würden wir rechtzeitig da sein?
Hätte ich Brandon nur nicht gedrängt, die Reise anzutreten! Dann hätte Coe womöglich niemals herausgefunden, wo er war und dass es ihn noch gab.
Fünfzig Jahre, etwas mehr sogar waren vergangen, seitdem der alte Meister und seine damalige Camarilla durch einen Vampirjäger angegriffen wurden. Das Feuer, das an dem Schlafplatz gelegt worden war, hatte alle Vampire vernichtet, die in Särgen schliefen.
Brandon und ein schwarzer Unsterblicher überstanden den Anschlag, weil sie auf Coes Geheiß in der Erde schlafen mussten. Der Meister selbst konnte schwer verletzt entkommen – was bis vor einigen Jahren sein wohlgehütetes Geheimnis geblieben war.
Hätten sie von seinem Überleben erfahren, dann hätten Brandon und sein Leidensgenosse die Chance höchstwahrscheinlich wahrgenommen und an ihrem Peiniger tödliche Rache geübt. Immerhin verpflichtete sie kein Eid zur Treue. Coe hatte sich also verkrochen und seine Wunden geleckt. Und als er endlich wieder stark genug war und sein Territorium zurückerhielt, tauchte ein Schreiben vom Rat auf und informierte ihn davon, dass ausgerechnet sein verschollener Vampir Brandon eine Reisegenehmigung erhalten hatte. Er musste nur auf ihn warten.
Welch eine Verkettung unglücklicher Geschehnisse.
Ich atmete tief durch.
Wir steckten mitten im Feierabendverkehr von Phoenix. Lichter fielen durch die Fenster und tauchten das Innere des Airstreams in wechselnde Farben.
Bald würde ich mit dem Rat der Stadt zusammentreffen, und ich wusste immer noch nicht genau, was ich sagen sollte, sagen musste, um Brandon zu befreien und Coe zu verurteilen.
Vorsichtig schob ich Christina aus meinen Armen und stand auf.
Wir sprachen kein Wort, während ich mich umzog, um dem Rat in angemessener Weise entgegentreten zu können. Ein schwarzer moderner Gehrock über einem weißen Hemd mit Manschetten und dazu zwei lange Silberklingen. Eine an jedem Unterarm. Als Meister hatte ich das Recht, bewaffnet zu erscheinen. Wenngleich kaum jemand von dieser Befugnis Gebrauch machte, ich würde es tun.
Während der Airstream durch die Innenstadt von Phoenix schaukelte, las ich noch einmal die Unterlagen durch.
Meine Nerven lagen blank. Ich hatte Curtis bislang nur in Gerichtssachen vertreten, deren Ausgang sicher war. Jetzt würde ich als Kläger in eigener Sache vor einem Rat fremder Unsterblicher sprechen müssen. Nervös drehte ich den Siegelring an meiner rechten Hand, bis mir die Bewegung selbst auf die Nerven ging.
»Darf ich mitkommen?«,
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