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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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war dieser hier überwiegend von Protestanten bewohnt. Sie selber entstammten einem alten Hugenottengeschlecht.
Sie sah einen Schatten hinter dem Wohnzimmerfenster vorbeihuschen, nahm ihre Reisetasche, schlug die Tür zu, schloß ab. Trat durch das schmale, niedrige, rotgestrichene Gartentor, ging über den gefliesten Weg zum Haus. Drückte den Klingelknopf, wartete einen Moment, hörte Schritte näher kommen. Der alte Mann öffnete die Tür, grau gewordene Augen, die plötzlich zu strahlen begannen, als wäre ein Lichtschalter angeknipst worden. »Julia!« sagte er, streckte seine Arme aus. »Das ist aber schön! Wieso hast du dich nicht angemeldet, ich hätte ein paar Vorbereitungen treffen können. Laß dich umarmen.« »Ich wollte dich überraschen. Und außerdem ist mir der Gedanke, dich zu besuchen, erst gestern abend in der Badewanne gekommen. Ich muß einfach mal für ein Wochenende ausspannen.«
»Jetzt komm schon rein«, sagte der alte Mann. »Mach dich erst mal frisch, ich bereite inzwischen das Abendbrot vor, du wirst sicher hungrig sein nach der langen Fahrt.« »Keine Umstände bitte, Paps, eine Scheibe Brot reicht. Ich bin wirklich ziemlich abgespannt.« Der alte Mann nahm ihr die Tasche ab, trug sie die Treppe hinauf in das Zimmer, in dem Julia Durant zweiundzwanzig Jahre gelebt hatte. Seit ihrem Auszug vor etwas über zehn Jahren war nichts verändert worden. Selbst die Poster der Idole aus ihrer Jugendzeit hingen noch an der Wand. Er stellte die Tasche auf das Bett, drehte sich um. »Seltsam, ich habe letzte Nacht von dir geträumt, als hätte ich geahnt, daß du kommen würdest. Wenn ich nur viel öfters auf meine innere Stimme hören würde! Sie hat es mir gesagt. Na ja, komm, laß dich anschauen.« Er faßte sie mit beiden Händen an den Schultern und sagte: »Ich finde, du wirst von Monat zu Monat hübscher. Wie deine Mutter früher. Ja, ja, deine Mutter, sie könnte noch leben, wenn sie nur auf mich gehört hätte. Aber sie wollte ja unbedingt ihr Grab so früh wie möglich schaufeln. Diese törichte Frau!« Er schüttelte den Kopf. »Papa, das ist jetzt sechs Jahre her...« »Ich gehe jeden Tag auf den Friedhof«, sagte er gedankenverloren. Sah auf und zog die Stirn in Falten. »Du solltest übrigens auch endlich aufhören zu rauchen. Es wäre tragisch, wenn du eines Tages genauso enden müßtest.« Dann lächelte er wieder. »Ich seh dich gleich unten«, sagte er und ging aus dem Zimmer. Julia Durant duschte und zog sich einen Freizeitanzug an. Legte einen Hauch Parfüm auf, mehr für sich als für ihren Vater. Sie packte nur einen Teil der Tasche aus, stellte sie auf den Boden vor den Schrank und ging hinunter, die dritte Stufe von oben knarrte immer noch erbärmlich, das Holzgeländer hätte einen neuen Anstrich dringend nötig gehabt.
Ihr Vater hatte Tee gekocht und eine Platte belegter Brote gemacht, als erwartete er noch mindestens fünf oder sechs Gäste. Eine Kerze brannte, im Hintergrund lief Vivaldi, Die Vier Jahreszeiten. Der weiche, harmonische Duft von Kirschtee erfüllte das Zimmer.
»Setz dich doch«, sagte er, auf den Stuhl deutend, ihren Stuhl. »Ich bin gleich fertig.« Er verschwand in der Küche, Klappern von Geschirr, er kam zurück mit einer Schale voll frischem Obst. Er setzte sich, seine Tochter hatte bereits Tee eingeschenkt. Der alte Mann faltete die Hände und schaute sie an. »Ich freu mich sehr, dich zu sehen. Du hast mir damit eine große Freude bereitet. Aber laß mich die Speisen segnen, bevor wir anfangen.« Er sprach das Gebet, dankte auch für den Besuch seiner Tochter. Er sah auf und fragte: »Wie lange wirst du bleiben?« »Leider nur bis Sonntag abend, ich hatte ohnehin schon Mühe, mich für dieses Wochenende frei zu machen.« »Was macht deine Arbeit?«
»Anstrengend, sehr, sehr anstrengend. Und teilweise frustrierend.«
»Arbeitest du gerade an einem besonderen Fall?« Sie nahm sich eine Scheibe von dem Sechskornbrot und legte es auf den Teller. Blickte ihren Vater an, der seine Scheibe Brot mit Butter bestrich. »Du hast doch sicher von den Mädchenmorden in Frankfurt gehört? Ich leite die Ermittlungen.«
»Du bist jetzt bei der Mordkommission?« »Seit neuestem.«
»Ja, allerdings, ich habe von diesen schrecklichen Morden gehört. Diese armen jungen Dinger! Habt ihr wenigstens schon eine Spur?«
»Bis jetzt leider nicht. Dieser Mann ist wie ein Gespenst. Als ob es ihn überhaupt nicht gäbe. Jetzt haben wir auch noch erfahren, daß dieser Kerl schon

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