Jung, blond, tot: Roman
sagen.« »Hier«, sagte sie, nahm das Bild, das Sheila gemalt hatte, aus dem Aktenordner, legte es vor Tomlin auf den Tisch. Er atmete hastig, bebte, seine Nasenflügel blähten sich auf, er starrte lange auf das Bild, sagte wie aus weiter Ferne: »Wer hat das gemalt?« »Sheila, Ihre Tochter. Sie hat es mir gezeigt. Es stellt Ihre Mutter dar. Blondes Haar, rote Schleifchen, jung. Was hat Ihre Mutter damit zu tun?« »Vergessen Sie's!« »Was ist es, Haß?«
»Ich sagte, vergessen Sie's!« schrie er mit hochrotem Kopf. »Also gut«, sagte Durant beherrscht, packte das Bild wieder zu den Akten. »Lassen wir das fürs erste. Aber beantworten Sie mir eine andere Frage - warum diese unbeschreibliche Brutalität und Grausamkeit? Warum?« Tomlin zuckte gelangweilt mit den Schultern, sah die Kommissarin an, faltete die Hände wie zum Gebet, lehnte sich zurück, die Beine ausgestreckt, lächelte wieder. »Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen.« Julia Durant zwang sich zur Ruhe, wollte nicht, daß Tomlin ihr den Aufruhr ansah, den sein letzter Satz in ihr verursacht hatte (mir ist einfach nichts Besseres eingefallen, mir ist einfach nichts Besseres eingefallen...), sie stand auf, ging im Zimmer umher, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, ging zum Fenster, schaute hinaus, der Himmel hatte sich bewölkt, erste Regentropfen. Der Verkehr war dicht wie an jedem Vormittag, die üblichen Geräusche, Preßlufthämmer, Straßenbahnen, Autos, Flugzeuge. Sie nahm die Schachtel Zigaretten vom Schreibtisch, holte eine Gauloise heraus, steckte sie zwischen die Lippen, warf einen kurzen Blick auf Tomlin, der scheinbar völlig entspannt dasaß, die Hände gefaltet, sanft und zahm wirkte er, harmlos, friedfertig. Siebenundzwanzig Mädchen - mir ist nichts Besseres eingefallen! Die Brust abgeschnitten -mir ist nichts Besseres eingefallen! Die Vagina zertrümmert - mir ist nichts Besseres eingefallen! Mir ist nichts Besseres eingefallen, mir ist nichts Besseres eingefallen, mir ist nichts Besseres eingefallen!!!!!! Sie zündete die Zigarette an, inhalierte, blies den Rauch in Tomlins Richtung, er hob seine Augen ein Stück, sah Durant schweigend an. Ihr Inneres begann sich zu beruhigen, sie setzte das Verhör geschäftsmäßig kühl fort. »Wo und wann genau sind die Morde geschehen? Und zwar auch die in den Staaten.« Tomlin zählte jeden einzelnen Mord auf, nannte jeweils Tag, Uhrzeit, Namen. Drei Stunden dauerte das Geständnis des Grauens und der Kaltblütigkeit. Tomlin erzählte, als wäre es eine Gutenachtgeschichte. Es übertraf bei weitem die schrecklichsten Vorstellungen, zeigte einen Menschen, der zeitweise, zuletzt jedoch immer öfter und immer länger, in einer anderen Welt lebte und gelebt hatte. Der unfähig geworden war, sich selbst zu steuern. Doch auch wenn Tomlin bei selbst den grausamsten Schilderungen lächelte oder zu lächeln schien, so gewann die Kommissarin nie den Eindruck, als wenn er Spaß oder Freude empfand oder sich gar mit seinen Taten brüsten wollte. Mitten in seinen Erzählungen wechselte er einige Male urplötzlich das Thema, sprach von seinem Glauben an Gott und wieviel Armut und Elend es auf der Welt doch gäbe, er hätte schon so viel miterlebt, vor allem die Kinder und Alten hätten am meisten zu leiden. Er fragte Julia Durant, ob sie schon einmal eine dieser Favelas in Südamerika besucht hätte oder die Slums in Indien, Pakistan oder Thailand. »Man wird sehr demütig, wenn man die Dankbarkeit der Menschen dort für eine kleine Gefälligkeit sieht«, sagte er.
Soviel er auch sprach, er sprach nie von seinen Eltern. Nicht von seinem Vater, seiner Mutter, seiner Verwandtschaft. Fragen nach seiner Kindheit beantwortete er aus 253 weichend oder überhaupt nicht. Er hielt sich fast ausschließlich bei seinen Taten oder seiner Religiosität auf. Er war sogar in der Lage, beides auf eine fast geniale Weise miteinander zu verbinden, bisweilen hatte die Kommissarin den Eindruck, als wollte Tomlin sie glauben machen, er sei überzeugt gewesen, im Auftrag einer höheren Macht gehandelt zu haben. Wodurch es einem cleveren Anwalt natürlich ein leichtes gewesen wäre, seinen Mandanten auf Unzurechnungsfähigkeit untersuchen zu lassen. Als er geendet hatte, entstand eine längere Pause, dann sagte er nach einer Weile ungerührt: »Wenn Sie mich nicht gefaßt hätten, Sie können sicher sein, ich hätte weitergemacht. Mindestens eine pro Woche. Oder mehr. Ich weiß genau, was in Ihrem Kopf vorgeht, Sie
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