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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman
Autoren: Andreas Franz
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denken, ich muß eine Bestie sein. Stimmt's? Und Sie haben vielleicht nicht einmal unrecht. Ich habe tatsächlich etwas von einer Bestie. In jedem von uns steckt eine, meine ist leider ausgebrochen.«
Durant atmete tief durch, rief nach nebenan: »Holt doch mal jemand Kaffee für uns alle. Und einen Teller belegte Brötchen gleich dazu.«
»Drei Käsebrötchen für mich«, rief Tomlin. »Und dann will ich zurück in meine Zelle und meinen Anwalt sprechen. Ach ja, sagen Sie meiner Frau Bescheid. Und sagen Sie ihr auch, daß ich keinen Wert darauf lege, sie zu sehen. Sagen Sie ihr, daß sie mich nicht interessiert, nie interessiert hat. Ich will nur noch Ruhe haben. Diese ganze gottverdammte Welt soll mir den Buckel runterrutschen. Haben Sie das behalten? Und meine Mutter, sie soll sich zur Hölle scheren!« Er hielt inne, faltete die Hände wie zum Gebet, legte den Kopf in den Nacken, sagte versonnen: »Um halb drei geht meine Maschine nach La Paz. Ich müßte längst am Flughafen sein und einchecken. Die Kinder werden schon ganz ungeduldig auf mich warten. Aber der gute Dr. Tomlin wird nicht kommen. Er wird wohl nie wieder kommen.« »Nein, das wird er nicht.« »Was soll's, vielleicht nimmt ja irgendwann ein anderer meine Stelle ein. So, kann ich jetzt bitte meinen Anwalt sprechen?«
»Was ist mit Ihrem Käsebrötchen? Keinen Hunger mehr? Und außerdem brauchen wir noch ein paar genauere Angaben zu den von uns noch nicht registrierten Morden. Danach lassen wir Sie zurückbringen, dann können Sie auch mit Ihrem Anwalt sprechen.« »Wenn's unbedingt sein muß! Aber bringen wir's schnell hinter uns. Ich habe keine Lust mehr.«

Donnerstag, 15.30 Uhr
    Am frühen Nachmittag wurde ein erschöpfter Daniel Tomlin mit seinem Anwalt zusammengebracht. Julia Durant knüllte die leere Zigarettenpackung zusammen, warf sie in den Papierkorb. Berger und die anderen kamen herein. Berger fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, lehnte sich an die Wand, zündete sich eine Zigarette an. »Würden Sie mir eine leihen?« fragte Durant müde. »Ich muß mir nachher erst welche besorgen.« Berger hielt ihr wortlos die Lucky Strike Schachtel hin, gab ihr Feuer. Kullmer holte sich Kaffee, fragte, ob noch einer wollte. Kopfschütteln. Langes Schweigen. Berger, als er fertig geraucht hatte: »Da ist man ein halbes Leben bei der Kripo und dann so was. Wie kann ein Mensch, der siebenundzwanzig Mädchen umgebracht hat, in einer Ruhe und Gelassenheit davon berichten, als wenn er, ja, als wenn er nur ein Zuschauer gewesen wäre?«
»Hier sitzt unser Psychologe, vielleicht weiß er eine Antwort.«
»Nein, jetzt noch nicht, ich muß passen«, sagte Schneider vorsichtig. »Aber vielleicht haben Sie mit dem Zuschauer nicht einmal so unrecht.«
»Sie haben sich intensiv mit Tomlin beschäftigt. Wie ist Ihr persönlicher Eindruck von ihm?« fragte Berger Julia Durant.
»Er ist ein Psychopath. Für mich ist Tomlin krank, und sosehr ich mich auch dagegen wehre, er tut mir irgendwie leid. Er wirkt nach außen hin eiskalt, aber ich glaube, das ist nur Fassade. In seinem Innern spielt sich die Hölle ab. Kein Mensch wird grundlos zu einer solchen Bestie. Es muß einen Auslöser gegeben haben! Aber welchen?« Berger sah seine Kollegin verständnislos an, er hatte anscheinend eine andere Antwort erwartet. »Ich muß ehrlich sagen, mir ist scheißegal, warum Tomlin so geworden ist. Der Fehler in unserer Gesellschaft ist doch, daß wir andauernd Mitleid mit den Tätern haben oder haben sollen und die Opfer und ihre Angehörigen darüber vergessen!« »Falsch«, verteidigte sich die Kommissarin vehement, »ich habe keinen von denen vergessen, ich habe nicht das Leid vergessen, das über die Familien gebracht wurde! Aber ich denke, irgendwer anderes ist zumindest zu einem großen Teil mit schuld daran, daß Tomlin dieses Leid über die Leute gebracht hat! Irgendwer hat ihn dazu gemacht, und ich denke, die Ursprünge gehen sehr weit zurück.« Sie sagte es energisch und blickte Berger dabei direkt an. »Und wenn Sie's genau wissen wollen, die Wurzel für mich ist seine Mutter. Sie und niemand anderer. Tomlin selbst ist ein Opfer.« 255 »Dieses gottverdammte Arschloch soll ein Opfer sein?! Der Kerl lebt, und siebenundzwanzig - mit Patanec achtundzwanzig - Menschen sind von diesem sogenannten Opfer hingemetzelt worden! Wollen Sie ihn in Schutz nehmen? Bitte, tun Sie's, bemitleiden Sie ihn, den armen, armen Jungen! Siebenundzwanzig Mädchen, siebenundzwanzig
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