Jung, blond, tot: Roman
kleiner, ging wieder ins Schlafzimmer und begann, die Schmutzwäsche zu sortieren, steckte die erste Ladung Wäsche in die Waschmaschine im Bad, füllte Waschpulver und Weichspüler ein, betätigte den Startknopf. Den andern Haufen Wäsche legte sie vor die Maschine, dann sortierte sie die Zeitungen, warf die meisten davon weg, leerte den Aschenbecher, fuhr mit einem Küchentuch drüber, gab etwas Möbelpolitur auf den Staublappen und fuhr mit schnellen Bewegungen über Schrank, Tisch und Fernsehapparat, bei der Gelegenheit machte sie ihn gleich an, zum Schluß holte sie den Staubsauger aus der Besenkammer und saugte die sich über Wochen angesammelten Krümel und Schmutzreste vom Teppich. Anschließend machte sie sich über das Schlafzimmer her, zog das Bett ab und legte frische Bettwäsche hin, ging in die Küche, die Suppe hatte jetzt die richtige Temperatur, sie schmierte Butter aufs Brot, legte eine dicke Scheibe Käse drauf und darüber noch drei Scheiben Salami, setzte sich an den Wohnzimmertisch und aß, trank jetzt ein Glas Rotwein. Nach dem Essen bezog sie das Bett, wischte auch im Schlafzimmer Staub und saugte den Boden, lüftete, ein frischer Herbstwind. Sie schaute zur Uhr, kurz vor zehn, sie war nicht mehr müde. Der Alkohol benebelte zwar ein wenig ihre Sinne, doch die Erinnerung an die letzten Tage und Stunden vertrieb er nicht. Sie hetzte weiter durch die Wohnung, versuchte krampfhaft, nicht weiter nachzudenken, einfach zu verdrängen. Sie zog sich ganz aus, duschte nur, sie hatte keine Lust auf ein Bad, ein Bad hätte auch nachdenken bedeutet. Halb elf, sie betrachtete sich kurz im Spiegel, fuhr mit ihren Händen über den Bauch, zog ihn ein, hielt die Luft an, atmete enttäuscht wieder aus. Aus ihrem Wäscheschrank kramte sie die schwarze Seidenunterwäsche hervor, die sie sich vor Jahren für ihren Ex-Mann gekauft hatte. Zog den raffinierten Slip und den noch raffinierteren BH an, schwarze, halterlose Strümpfe mit Spitzenabschluß, einen hautengen, schwarzen Mini, eine tiefausgeschnittene, nachtblaue Seidenbluse, hochhackige Pumps. Schminkte sich, legte dunkelroten Lippenstift auf, schwarzen Lidschatten, sprühte etwas Obsession auf ihren Hals. Schaltete den Fernsehapparat aus, schloß das Schlafzimmerfenster, löschte das Licht. Sie kannte einen Ort, wo sie jemanden für die Nacht finden konnte. Sie stieg in ihren Wagen, fuhr los. Der Türsteher, ein riesiger, muskulöser Kerl, musterte sie erst argwöhnisch, ließ sie schließlich, als ihr Outfit ihm zusagte, an sich vorbei. Drinnen diffuses Licht, nur über der Bar helle Lampen, eine Tanzkapelle spielte Schmusesongs, einige Paare drehten sich eng umschlungen auf der kleinen, von unten beleuchteten Tanzfläche. Durant setzte sich an die Bar, rauchte und bestellte einen Scotch auf Eis. Ein mittelgroßer Mann, höchstens einssiebzig, etwas untersetzt, nahm auf dem Hocker neben ihr Platz. Sein Haar war im vorderen Bereich etwas licht, doch er hatte feine, gepflegte Hände, distinguiertes Auftreten. Eine ganze Weile saßen sie nebeneinander, ohne ein Wort zu wechseln, hielten sich an ihren Gläsern fest. Später tanzten sie, in ihren Pumps war Julia Durant etwas größer, doch das interessierte sie im Moment nicht. Um zwei Uhr morgens verließen sie gemeinsam die Bar. Und am nächsten Morgen, nach diesem One-Night-Stand, wachte sie in diesem fremden Bett auf, und während der Mann, dieser grandiose Liebhaber, dessen Namen sie nicht einmal kannte, noch schlief, zog sie sich leise an und fuhr nach Hause. Es regnete.
Mittwoch, 6. Oktober, 11.00 Uhr
Die Beerdigung von Schulz und seiner Tochter fand am Mittwoch vormittag statt, an einem sonnigen, milden Herbsttag. Die Wege und Grünflächen waren von abgefallenem Laub bedeckt, die Natur machte sich für den Winter bereit. Der Friedhof war überfüllt, die meisten Trauergäste Beamte und Freunde, die sich versammelt hatten, um Abschied zu nehmen. Schulz' Frau saß in vorderster Reihe in der Kapelle, sie trug Schwarz, sie hatte keine Tränen mehr, ihr Blick war auf die blumenübersäten Särge vor sich geheftet, einen kleinen und einen großen, alle Trauer dieser Welt in ihrem Gesicht vereinigt. Julia Durant hatte schon viele Trauerreden gehört, doch diese zählte zu den schönsten und ergreifendsten und gleichzeitig mutmachendsten. Sie hatte das Gefühl, als gäbe es dieses vom Pfarrer angesprochene Leben nach dem Tod wirklich. Auch ihr Vater war so fest davon überzeugt, sie selber hätte zu gern
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