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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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hatte, konsequent gegangen und nun dort gelandet zu sein, wo er immer hatte sein wollen. Zumindest einige der Mächtigen lagen ihm zu Füßen, Politiker, Unternehmer, Künstler, um von ihm, meist vor wichtigen persönlichen und beruflichen Entscheidungen, astrologischen Rat einzuholen, was ihn mit tiefster Befriedigung und größtem Stolz erfüllte, machte ihn dies in bestimmten Momenten doch zum Herrscher über die Herrschenden. Sie vertrauten seinem sicheren Instinkt und gaben zum Teil selbst die schmutzigsten Abgründe ihrer Seele preis. Astrologische Hilfe und Kartenlegen wurde von Männern und Frauen gleichermaßen gewünscht, the 28 rapeutische Maßnahmen hingegen überwiegend von Frauen in Anspruch genommen. Seine Klientel bestand zum größten Teil aus der Crème de la Crème der Frankfurter High-Society, doch sein außergewöhnliches Talent hatte sich bis weit über die Grenzen Frankfurts hinaus herumgesprochen.
Es war eine seltsame, für viele, die davon wußten, sogar widernatürliche Verbindung zwischen Wissenschaft und Esoterik. Er hatte schon als kleines Kind übersinnliche Fähigkeiten bei sich entdeckt, die ihn bisweilen selbst erschreckten. Er konnte Dinge voraussehen und -ahnen, die anderen verborgen blieben.
Er war sieben, als er nachts schreiend aufgewacht war und zitternd und stockend seiner Mutter mitzuteilen versuchte, wie er das Nachbarhaus abbrennen sah, in dem sich eine Frau und ihre drei Kinder aufhielten, darunter sein bester Freund. Seine Mutter hatte versucht, alles als einen Alptraum abzutun, indem sie ihm das unversehrte Haus zeigte; genau einen Tag später brannte es durch einen Blitzeinschlag bis auf die Grundmauern nieder. Er hatte danach viele Visionen gehabt und diese Fähigkeit auch nicht verloren, als er Psychologie studierte, in der Hoffnung, eine plausible Lösung für sein, wie er es früher nannte, »Problem« zu finden. Der Psychologe Patanec praktizierte bis dreizehn Uhr, der Esoteriker drei bis vier Stunden am Nachmittag, manchmal arbeitete er auch bis spät in die Nacht, vor allem, wenn er wieder einmal an einem Buch schrieb. Er nahm einen Schluck von seinem heißen Kaffee, paßte nicht auf, ein Tropfen fiel auf sein pinkfarbenes Hemd. Patanec, ein sehr beherrschter Mensch, ging ruhig zum Waschbecken, um den Fleck mit heißem Wasser auszuwaschen. Die Tür ging auf, ohne daß die Person angeklopft hätte, sie tat das nie, sie wußte, daß Patanecs Tür tagsüber nie verschlossen war. Eine mittelgroße, überaus hübsche Frau, mit markanten Gesichtszügen, leicht vorstehenden Wangenknochen, Katzenaugen, nicht zu vollen, zart geschwungenen Lippen. Gekonnt aufgetragenes Make-up brachte die reichlich vorhandenen Vorzüge noch besser zur Geltung. Sie trug hochhackige schwarze Pumps und schwarze Seidenstrümpfe, einen etwa zehn Zentimeter über dem Knie endenden engen Lederrock, eine weiße, gerüschte Bluse. Ihre Lippen leuchteten in kräftigem Rot, ohne daß dies auch nur im entferntesten ordinär gewirkt hätte, steinweißer Lidschatten und dunkelblaue Wimperntusche unterstrichen das unergründlich tiefe Blau der Augen. Wie so oft war das bis weit über die Schultern fallende, mattblonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, niemand, der in ihr eine sechsunddreißigjährige Mutter von drei Kindern vermutet hätte. Sie lächelte kurz und unverbindlich, sagte nichts, setzte sich einfach auf die Couch. »Hallo«, sagte Patanec und legte den Lappen, mit dem er den Kaffeefleck behandelt hatte, auf den Waschtischrand. »Gekleckert?« fragte sie spöttisch lächelnd. »Nur Kaffee. Sie sind früh dran.«
»Ich wollte nicht draußen im Auto sitzen. Wenn ich störe, kann ich auch draußen warten.«
»Ach was, ich habe es nicht so gemeint.« Patanec begab sich hinter seinen Schreibtisch, holte ein Blatt Papier, legte es auf eine Unterlage, kam zurück, setzte sich in den schräg neben der Couch stehenden Sessel. Er wußte nicht, ob er heute etwas schreiben würde, er kannte ihre Geschichte auswendig, wenn auch nur das oberflächliche Leben, ihr Inneres hatte sie mit tausend Schlössern gegen unerwünschte Eindringlinge verriegelt. 29 Susanne Tomlin hatte die Füße übereinandergelegt, stützte sich mit beiden Händen auf den Couchrand. Stille. Sie sah zu Boden, er nahm die Gelegenheit wahr, diese vollkommene Einheit aus endlosen Beinen, edel ausschwingenden Hüften, straffer, nicht zu voller Oberweite zu betrachten, er fand, ihre Schönheit nahm mit jedem Mal, da er sie sah, zu.

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