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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Unvergängliche Schönheit, die auch von innen kam, die etwas Reines hatte. »Wie war Ihre letzte Woche?« fragte er. »Unauffällig«, erwiderte sie, ohne ihre Haltung zu verändern, sie wippte lediglich leicht mit den Beinen. »Es war eine langweilige Woche. Daniel war zwar dann und wann zu Hause, aber glauben Sie bloß nicht, daß ich viel von ihm gehabt hätte. Ich bin am Dienstag nach Mailand geflogen, um eine Bekannte zu besuchen und etwas für die Kinder einzukaufen. Dabei habe ich mir gleich vier neue Kleider zugelegt, obgleich es nicht einmal nötig gewesen wäre.« Sie sagte das weder stolz noch überheblich, für sie war ein Einkaufsbummel in Mailand so selbstverständlich wie für andere ein Einkauf in einem Billigmarkt. Sie hatte nie ein anderes Leben kennengelernt, doch im Gegensatz zu vielen anderen Männern und Frauen war sie nicht zu einem Snob verkommen, konnte sie sich noch über Kleinigkeiten freuen und suchte seit langem ernsthaft nach einem oder dem wahren Sinn in ihrem Leben. Und Patanec hätte ihr gern dabei geholfen, wäre sie nur ein wenig kooperativer gewesen. Sie machte eine Pause, blickte Patanec an. Sie wirkte unruhig, ging zum Fenster, blieb mit dem Rücken zu Patanec stehen. Schweigen. Sie zog die Jalousie hoch, drehte den Fenstergriff, zog das Fenster ein Stück auf, lärmendes Vogelgezwitscher, der Duft der spätsommerlichen Blüten. »Ist das nicht herrlich?« sagte sie eine Weile später, die frische Luft tief einatmend. »Gibt es etwas Schöneres als den 29 Gesang von Vögeln? Vögel sind so unschuldig, so rein. Ich glaube, sie freuen sich einfach über jeden neuen Tag. Sie machen sich keine Sorgen über das Heute und Morgen, sie leben einfach. Wäre es nicht herrlich, wenn wir auch so sein könnten? Sich keine Gedanken über das Morgen machen zu müssen, keine Angst zu haben, einfach nur fröhlich sein?«
Sie drehte sich um, die Hände auf die Fensterbank gestützt, den Blick zu Boden gerichtet. Kniff die Lippen aufeinander, preßte die Knie zusammen. Ließ wieder einen Moment verstreichen, ehe sie sagte: »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich gebe mir alle Mühe, und doch schaffe ich es nicht. Wenn ich glaube, einmal wirklich frei zu sein, kommt es wieder. Es überfällt mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und ich bin völlig hilflos. Gestern abend war es so. Ich war allein zu Hause, weil Daniel wieder einmal in der Klinik aufgehalten wurde. Das Hausmädchen hatte Ausgang, und die Kinder lagen im Bett. Ich saß auf der Couch, der Fernseher lief, ich hatte es mir gemütlich gemacht, als es anfing. Ich weinte, ohne daß ich erklären könnte, warum. Ich weiß nicht einmal, wie lange ich geweint habe, wie lange ich das Gefühl hatte, in einer unendlichen Leere verloren zu sein, aber ich glaube, es dauerte eine ganze Weile. Ich mußte mich übergeben. Ich habe mich übergeben, ohne daß ich Schmerzen hatte, einfach so. Ich schluckte zehn Milligramm Valium und fühlte mich ein wenig besser. Daniel kam gegen elf heim, aber er war völlig abwesend, wie immer in der letzten Zeit nach einem anstrengenden Tag.«
Diese Geschichte, immer in etwas abgeänderter Form, hörte Patanec jetzt schon seit etlichen Jahren, nur das mit dem Valium und der leichten Verbitterung über ihren Mann erzählte sie erst seit kurzem. Dabei war es Tomlin selbst, der seine Frau zu ihm geschickt hatte, angeblich wegen Depressionen, die sich nicht unerheblich auf ihr Privatleben auswirkten.
Patanec und Tomlin verband mehr als nur berufliches Interesse, sie trafen sich regelmäßig zu einem Match im Tennisclub oder saßen an der Bar und tauschten ärztliche Geheimnisse aus. Aber wenn Patanec mit Tomlin auch über viele Patienten sprach, so hatte er, obwohl Tomlin bisweilen penetrant bohrte, ihm gegenüber nie auch nur ein Wort über Susanne Tomlin fallenlassen, das hatte er ihr hoch und heilig versprechen müssen. Andernfalls hätte sie wahrscheinlich entweder sich selbst oder ihn, Patanec, umgebracht. Und Patanec wäre nicht Patanec, hätte er nicht immer noch gehofft, daß Susanne Tomlin ihm eines Tages nicht nur ihr Herz öffnete. Sie schaute wieder aus dem Fenster, die Haltung straff und aufrecht, der Pferdeschwanz endete zwischen ihren Schulterblättern. Manche Sitzungen vergingen fast schweigend, sie lag dann nur auf der Couch, wohl wissend, daß er sie betrachtete. Bisweilen hatte er das Gefühl, als genösse sie seine Blicke, dieses Abtasten ihres Körpers, dann und wann zog sie sich geradezu

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