Jung, blond, tot: Roman
aufreizend an, wobei sie geschickt genug war, nie alles zu zeigen, sondern der Phantasie des Betrachters noch Spielraum zu lassen. Sie fuhr fort: »Als Daniel kam und das Valium wirkte, stand ich unter der Dusche. Ich habe so heiß wie lange nicht geduscht, und es machte mir nicht einmal etwas aus. Daniel hat zwar kurz ins Bad geschaut und guten Abend gesagt, ist aber gleich in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Wie oft ich dieses Arbeitszimmer schon verflucht habe! Warum bleibt er nicht in der Klinik, wenn er ohne Arbeit nicht leben kann, warum muß er auch noch zu Hause arbeiten, wo die Kinder und ich ihn doch schon so selten zu Gesicht bekommen?! Aber nein, für ihn ist alles wichtig, nur ich nicht.« Sie hielt inne, kaute auf der Unterlippe, sah kurz zu Patanec, als kontrollierte sie, ob er überhaupt noch da war und ihr zuhörte.
»Er hätte mich nehmen können, ich wünschte mir, er hätte es getan. Früher haben wir uns unter der Dusche geliebt, an den unmöglichsten Orten, aber das ist lange her. Und heute morgen war er schon wieder weg, bevor ich aufwachte. Ich habe aber auch fast elf Stunden geschlafen. Ich reagiere auf Valium sehr sensibel. Ich glaube, ich werde mich nie daran gewöhnen.« »Was fühlen Sie, wenn er Sie nicht beachtet?« »Ich weiß es nicht. Nein«, korrigierte sie sich, »das stimmt nicht, ich weiß es schon, nur, ich kann es nicht beschreiben. Es tut einfach nur weh und...« Er stellte keine Frage, wartete, bis sie ihre Gedanken sortiert hatte und weitersprechen konnte. Sie drehte sich um, setzte sich in seinen Schreibtischsessel, wippte. Nahm einen Stift aus dem Ständer und drehte ihn durch ihre langen, schlanken, fragilen Finger, deren Nägel im gleichen Rot wie die Lippen leuchteten. »Ich glaube, ich habe keine Zeit mehr. Es ist auch wirklich nichts weiter berichtenswert. Ich sollte besser gehen.« »Sie haben Ihre Gefühle noch nicht ausgedrückt...« »Gefühle, Gefühle!... Welche Gefühle? Ich glaube, ich habe gar keine Gefühle. Nicht wirklich. Ich denke, ich bin behindert, hier drin«, sagte sie mit dieser angenehm warmen Stimme und faßte sich an die linke Brust, »hier drin fehlt etwas. Manchmal denke ich, ich bin unfähig, zu lieben. Dann wieder denke ich, das stimmt nicht, das kann einfach nicht stimmen. Aber es muß doch einen Grund geben, warum Daniel mir so häufig ausweicht!« Sie erhob sich, strich ihren Rock gerade, zupfte an den Rüschen ihrer Bluse und ging zum Waschtisch, um ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten. »Sei's drum, ich werde heimfahren. Die Kinder kommen bald aus der Schule, und ich will dasein. Es ist nicht Daniels Schuld, es ist allein meine.« »Es ist nie die Schuld einer Person allein«, sagte Patanec und stand ebenfalls auf. »Wer meint, immer selbst an allem schuld zu sein, irrt. Man bringt sich leicht in eine Märtyrerposition, wenn man so denkt.«
Patanec legte das unbeschriebene Blatt Papier auf den Tisch, ging auf Susanne Tomlin zu, blieb etwa einen Meter vor ihr stehen. Ihr orientalisches Parfüm fächelte auf unsichtbaren Bahnen in seine Nase, für einen Moment war er geneigt, über ihr Gesicht zu streicheln oder sie in den Arm zu nehmen. Doch zu der Sorte Frau zählte sie nicht, da gab es andere, die mit eindeutigen Absichten auf der Suche nach Abenteuern zu ihm kamen, es gab Angebote, die hatte er nicht ausschlagen können. Mit unergründlichem Blick tastete sie sein Gesicht und seinen Körper ab, ohne ihre Gedanken preiszugeben.
Er reichte ihr die Hand, sie hatte kalte Hände. »Auf Wiedersehen und bis nächsten Freitag.« »Wiedersehen«, erwiderte sie, nahm ihre Handtasche und verließ den Raum. In der Tür blieb sie stehen, drehte sich noch einmal um. »Würde es Ihnen viel ausmachen, wenn ich einfach vorbeikäme, wenn es mir schlechtgeht? Ich meine, ich will nicht aufdringlich erscheinen, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich müßte mich aussprechen, und da ist keiner, mit dem ich reden kann. Ich verspreche auch, nur dann zu kommen, wenn es nicht anders geht«, sagte sie entschuldigend. Da war wieder dieser kindlich-naive Gesichtsausdruck, den Patanec so an ihr mochte. »Natürlich, aber es kann sein, daß Sie warten müssen.« »Das macht nichts. Ich habe sowieso viel zuviel Zeit. Danke.«
Kaum eine halbe Stunde war sie geblieben, hatte zum ersten Mal, soweit Patanec sich erinnern konnte, recht bitter von der Vernachlässigung durch ihren Mann gesprochen, von der Sehnsucht nach Zärtlichkeit, die ihr von Daniel Tomlin aber im
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