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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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die hat er in sich gespeichert, der Baum, Jahr für Jahr, Jahresring um Jahresring. Und jetzt, wo er brennt, kommt die Sonne in Form von Flammen wieder aus ihm heraus. Was du siehst und was du an Wärme spürst, das ist sein ganzes Leben, das zieht noch einmal vorbei, und es flammt und es wärmt uns und knistert. Obwohl er doch nur ein Baum war, der einfach so dastand und nichts tat. –«

48
    Was ist Callosotomie?
    Inzwischen lagen bereits fünfzehn von zwanzig Bänden des Konversationslexikons neben Kommissar Melchmers Computer.
    Jedes Wort verschlüsseln die! Medizinmänner! Bedienen sich ihrer Geheimsprache. Dass man denen das durchgehen lässt   …
    Eigentlich hatte Lothar Melchmer vor dem Zubettgehen nur noch einmal einen Blick in die Unterlagen werfen wollen. Denn eine Frage nagte sanft, aber beharrlich an seinen Hirnwindungen: Welche Verbindung bestand zwischen Dr.   Brogli und Prof.   Lascheter? Brogli hatte sich im Gutachten auf Lascheter bezogen, und zuvor hatte sich Brogli wegen des komatösen Jan Sikorski an den behandelnden Arzt Lascheter gewandt. Soweit klar. Aber welche Verbindung sah Lena zwischen den beiden? Hatte sie einen Grund, nach Brogli auch Lascheter auszuschalten?
    Das Einfachste wäre gewesen, Lascheter zu warnen. Einfach, aber unverantwortlich. Zum einen, weil Lascheter sich dann vermutlich unnötig sorgen würde. Zum anderen, weil es Lascheter einen Wissensvorsprung verschaffte, den der Kommissar nicht für hilfreich hielt.
    Die Informationen zu Carlo Brogli waren schnell beisammen. Die Grunddaten standen in der Akte zu seinem Mordfall. Im Internet waren Auskünfte spärlich. Ein Foto gab es von ihm dort nicht. Nur der Tatort war oft fotografiert und in den Zeitungen und auf Online-Portalen kopiert worden.
    Brogli war in der Schweiz geboren, hatte in der Schweiz studiert und approbiert. Er hatte eine Schweizerin geheiratet und hatte sie 26   Jahre später in Schweizer Erde begraben. Die beiden Söhne arbeiteten als Banker in der Schweiz. Brogli leitete im Wechsel drei Institute an Universitätskliniken und fuhr regelmäßig zum Urlaub in die Schweiz – das berichtete ein Käseblättchen der Ärztegenossenschaft, das sich kurioserweise im World Wide Web behauptete.
    Zu Lascheter zeigte die Suchmaschine hunderttausend Links an. An erste Stelle die eigene Homepage des »Prof.   Dr.   Dr. med. Eugen Lascheter«. An zweiter die Präsentationen des
Instituts Zucker
. Auch prominente Nachrichtenportale im In- und Ausland präsentierten – im wahrsten Sinne   – Hochglanzporträts des Mannes.
    Lothar Melchmer vertraute am ehesten seinem eigenen Bleistift. Überall klaubte er Daten zusammen, auch aus mehreren
Curricula,
die zu lang waren. Das meiste richtete sich an Mediziner.
    Die Nacht schwand dahin wie Eis im warmen Wohnzimmer. Inzwischen hatte er den ersten Teil des Lebenslaufs zusammen. Seine Stichworte ergänzte er beim Lesen zu Sätzen:
1953 wird Eugen in Marbach geboren. Der Vater ist
Jahrgang ’13, und bei Eugens Geburt 40.   Ein Arzt mit N S-Vergangenheit . Kriegsgefangenschaft. Eugens Mutter ist
fünfzehn Jahre jünger, leidet unter Epilepsie. Der Vater wird
wieder Arzt und unternimmt bei seiner Frau 1965 eine
OP
am Gehirn, als letzte Chance. Sie stirbt dabei. Der Vater gibt
den zwölfjährigen Eugen ins Heim.
    Abitur bereits mit 17, Wehrdienst mit Schwerpunkt Sanitäter. 1979 erste Promotion   – Epilepsieforschung. Neurologe an
mehreren deutschen Kliniken. 1984 zweite Promotion über
Hirnneurologie und Heirat. Sie gehen in die
USA
, wo die Frau
und der 2-jährige Sohn 1987 bei einem Raubüberfall ums Leben
kommen. Schon 1988 dann: Habilitation!
    Wie hat Lascheter das nach dem Schicksalsschlag geschafft? Sich in die Arbeit gestürzt?
    Was ist Callosotomie?
    Die Habilitationsschrift handelte von Träumen, so viel war klar. Aber es ging um die Träume nach Callosotomien.
    Vielleicht weiß es ja das Wikinker-Lexikon, dachte Melchmer und bemühte den Computer. Den Begriff »Split-Brain-Patient« hatte er schon in Verbindung mit der Operation an Lascheters Mutter gelesen. Ihr wurde die nicht so große Brücke zwischen den beiden Hirnhälften durchtrennt. Die Brücke war das
corpus callosum
– daher der Name »Callosotomie«. Bei Epilepsie-Patienten, denen sonst nichts hilft, schien das vor allem früher die einzige Möglichkeit der Heilung zu sein. Gewitter im Gehirn konnten auf diese Weise wenigstens nicht mehr auf beide Hälften übergreifen.
    Wie lebt man mit einem

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