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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Tina, sofort da runter!«
    Tina hatte sich auf ein Eispodest am Seeufer gestellt und machte eine Unschuldsgeste wie eine Profifußballerin nach einer Schwalbe.
    »Runter! Keine Diskussion!«
    Die Aufmerksamkeit aller war sicher. Bevor sich Empörung ausbreiten konnte, hatte Tina das Eis betont lässig verlassen, und Christine zeigte auf einen Spalt, den Tina aus ihrer Position nicht hatte sehen können. »Jetzt schau da rein!«
    »Ja, Mann!«
    »Schau rein! Wie tief ist das?«
    »Keine Ahnung, Christine.«
    »Kommt her! Alle! Wer sagt mir, wie tief diese Spalte im Eis ist?«
    Einige spekulierten, keiner konnte es genau sagen.
    »Eben. Wenn man die Augen offen hält, sieht man diesen Spalt! Wie dick ist die Eisdecke darüber? Zehn, fünfzehnZentimeter? Wenn du nicht aufpasst, klappt das Eis unter dir zusammen, und du landest in dem Spalt. Der ist so schmal, dass wir dich nicht rausholen können.«
    Für Melina war es eine regelrechte Gletscherspalte. Die erste in ihrem Leben, soweit sie wusste.
    Christine setzte ihre Standpauke ein paar Runden lang fort, dann bekam Tina eine knappe, knuffige Umarmung und trottete weiter.
    Allmählich fanden beim weiteren Laufen Christine und Melina wieder zusammen. Melina rechnete mit einer Fortsetzung des Gesprächs um Lena, aber die beleibte Blonde kam mit etwas anderem: »Pass auf, Melina, wir beide starten eine spontane Schneeballschlacht, okay? Vielleicht machen ein paar mit. Ich werde dich in die Mangel nehmen. Du wehrst dich, indem du mir meine Mütze runterreißt und sie wegwirfst – und zwar in weitem Bogen über den Bach. Das ist wichtig. Alles verstanden? Machst du’s? Mach’s einfach!«
    Christine bückte sich und wischte Schnee vom Weg, pappte ihn zusammen und klatschte ihn Melina in den Nacken. Die zuckte zusammen, versuchte zu spät auszuweichen und bekam Christines Ellenbogen ins Gesicht. Trotzdem spielte sie ihre Rolle.
    Ist nicht meine Sache.
    Also bitte. Schnee. Saukalt. Backt nicht.
    Christine startete ihr Kriegsgeheul, riss Melina den Rucksack in einer schwierigen Drehung herunter und warf ihn einige Meter weit in den Schnee.
    Melina kratzte weißes Zeug zusammen und warf es nach ihr, wobei sie »Du blöde Gake!« rief, so laut sie konnte.
    Nicht sonderlich laut, befand sie.
    Die Jugendlichen schauten verwundert. Als Erster warNathan bei der Sache und bastelte an einem prächtigen Bällchen. Strikt nach Drehbuch riss Melina Christine die Kappe von den Haaren und schleuderte sie in die Landschaft. Die elfenbeinfarbene Mütze beschrieb eine nicht ballistische Kurve, sondern hatte den Drall eines Bumerangs. Sie landete halb an Land, halb im Wasser, aber immerhin auf der anderen Seite des Bachs.
    Sofort keifte Christine los. Was ihr einfiele. Ob sie noch ganz dicht sei. Alles habe seine Grenzen. Die Mütze sei teuer gewesen. Es ginge ums Prinzip.
    Nathan hatte seinen Schnee fallen lassen und folgte den anderen, die um die beiden Frauen einen Kreis bildeten.
    Christine verlangte, Melina solle sofort die Kappe holen.
    Melina ließ es bei einem knappen Nein. Sie war nicht gut beim Theater, dachte sie – und hatte aus irgendeinem Grund schon wieder Jenissej vor Augen.
    Christine bestand darauf, dass ihr die Kappe zurückgegeben werde. Andernfalls werde sie die Wanderung abbrechen. Größere Ziele hätten sich alle für diese Reise abzuschminken.
    Melina weigerte sich tapfer. Sie verwies auf den Rucksack, den Christine in den Schnee geworfen habe. Da war auch ein Stück echte Verletztheit, die es ihr erleichterte, sich zu beschweren.
    Christine meinte, sie habe den Rucksack nicht über den Bach gefeuert – und werde es auch nie tun. In zwei oder drei Kilometern komme eine Furt. Da solle Melina hinlaufen, dann könne sie die Kappe in die Hütte bringen und warten, bis sie alle am Abend zurück seien.
    Erster Widerstand regte sich in der Gruppe. Der Bach war etwa drei Meter breit. Er hatte eine beachtliche Fließgeschwindigkeit, gluckste und sprudelte, als würde er kochen.Gefährlich wirkte er nicht, aber kalt war er allemal, das stand fest.
    Melina erklärte, Christine stelle sich an. Alles wegen einer ohnehin hässlichen Mütze. Sie fand diese Eingebung gut.
    Christine sagte kategorisch, dass sie alles abbräche, wenn Melina nicht die Mütze hole.
    Ole, der heute nicht in der Nähe von Kit war, sagte, dass er »den Fetzen« holen werde, damit sie weitergehen könnten.
    Melina bekam böse Blicke, aber auch Christines Starrsinn verwunderte die eine oder andere junge

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