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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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ich. Sie brachte die Unterlagen, die ihre Eltern unterschreiben mussten.«
    »Ihr Vater.«
    »Wie auch immer. Und wenn sie in den letzten Wochen oder Monaten an einer Reise teilgenommen
hätte,
dann wüsste ich das. Sie hätte nämlich hier herkommen und mir erneut Formulare geben müssen. Ich bestehe darauf, die Leute zu sehen, die auf Tour gehen. Damit keiner mit dem Zettel von einem anderen von seinen Eltern verduftet. Alles schon vorgekommen, selbst hier in Preußen.«
    »Noch mal zur Reiseleitung. Können Sie mir nicht doch einen Namen nennen?«
    Die Frau schüttelte entschieden den Kopf, hatte aber offenbar einen anderen Gedanken gefasst, denn sie widmete sich dem Bildschirm. Setzte sich eine Lesebrille auf, die für die vorgesehene Nasenspitze definitiv zu schwer war. Schrieb eine Nummer auf einen Zettel. Griff zum Telefonhörer. »Sie ist seit Kurzem wieder in Berlin, hat sich aber krank gemeldet. In der Gruppe hat es einen Unfall gegeben, wahrscheinlich muss sie das erst mal verdauen. Aber das ist natürlich inoffiziell, das darf ich   … Ja, hallo? Hier Godehard aus der Administration. – Ja, genau. – Nein, nein. – Das sowieso. – Natürlich. – Wieso nicht?«
    Melina sah aus dem Fenster.
    Die Frau im Krankenstand hatte offenbar eine Menge zu erzählen. Endlich kam die Godehard wieder zum Zuge und erkundigte sich, ob Lena bei der Fahrt dabei gewesen sei. Wieder dauerte es.
    Melina dachte an die Relativität der Zeit. Wenn ich es eilig habe, kommt mir alles langsamer vor. Aber es bestätigte sich: Die Begleiterin schloss Lenas Teilnahme definitiv aus. Damit waren auch die Hoffnungen geplatzt, die Pia mit den Bemerkungen über Lenas Reisetasche geweckt hatte.
    Melina stocherte mit ein paar weiteren Fragen ins Leere. Als Frau Godehard ihrerseits mit Erkundigungen über Lena konterte, beschloss sie, sich zu bedanken und zu gehen. Schließlich stand ihr nächster Termin an, den sie eigentlich erst nach der Uni hatte wahrnehmen wollen: Neue Testreihen bei
Zucker
durchführen.
    »Ein schönes Kleid.«
    »Ja, nicht wahr? Ich liebe Sonnenblumen über alles.«

12
    »Wir haben nun unsere Reiseflughöhe erreicht, wir bitten Sie aber, während des gesamten Fluges angeschnallt zu bleiben. In Kürze servieren wir Ihnen warme und kalte Getränke.«
    So lange mussten die beiden nicht warten. Sie stießen miteinander an. Noëlle nahm einen guten Schluck, während er nur daran nippte. Symbolisch.
    »Schließen Sie die Augen«, sagte er. »Lehnen Sie sich zurück. Denken Sie an etwas Angenehmes. Treiben Sie ein paar Minuten Power-napping. Das Fahrwerk wird Sie wecken.«
    Mit der linken Hand drehte sie die Goldreifen des rechten Handgelenks, das mit dem Champagnerglas zu tun hatte. »Ich bin ja nicht zum Schlafen mitgekommen.«
    »Ich brauche Sie im Moment nicht«, sagte er. »Sie sind wertvoller für mich, wenn Sie nachher hellwach sind.«
    Sie schloss tatsächlich die Augen. Das Glas setzte sie im Blindflug auf dem Klapptisch ab – mit Hilfe der Radaranlage des Gehirns.
    Dem Steward gab er ein Zeichen, den Alkohol wegzuräumen. Dann schaute er auf die Wolken hinunter. Die Maschine korrigierte ihren Flug sanft nach backbord. Er streckte die Beine aus und betrachtete Noëlle von der Seite. Eine blonde, große Frau, so groß wie er. Im Schlaf wirkte sie strenger als sonst, wenn die Lachfalten ihr Erwachsensein milderten. Er betrachtete ihre Hände mit den Sehnen auf dem Handrücken, die Finger, die Stellung der Fingerkuppenzueinander. Den Übergang von den Nasenflügeln zur Oberlippe. Das unter einer blonden Strähne hervorlugende Ohrläppchen.
    Unsere Vorfahren bevorzugten angeblich Weibchen mit breiten Hüften, großen Brüsten und auch sonst einer Menge Fett, dachte er. Sicherung der Nachkommenschaft. Überleben in Zeiten der Kälte und der Entbehrung. Der männliche Blick auf den weiblichen Hintern – die Ursache dafür, dass es unsere Art noch gibt.
    Weshalb aber finde ich dann eine Frau wie Noëlle attraktiv? Unter dieser Schönheit liegt ein Anteil Männlichkeit. Nein, nicht Männlichkeit   – Härte, Zähigkeit. Unsere Vorfahren lebten nicht nur in Höhlen – die Männer auf der Jagd, die Frauen daheim bei der Sippe. Ein wichtiger Zweig unserer Vorväter durchstreifte die Steppe. Irgendwann mussten die Frauen und Kinder mitkommen, von einem Platz zum anderen. Wenn der alte Standort nichts mehr hergab oder ihnen streitig gemacht wurde. Es gab viele Gefahren in der Steppe. Nicht vor allen Gefahren schützte

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