Jung genug zu sterben
sagte Fogh. »Er will herausfinden, was genau zum Ableben geführt hat.«
Herbert Sikorski wollte irgendetwas tun. Er deutete mit der Handkante erst auf das Gletscherbild, dann auf Fogh. »Was war die Todesursache?«
»Eben«, entfuhr es Fogh von oben herab. Er sammelte sich. »Wir müssen feststellen, ob das Antiepileptikum eine Allergie ausgelöst hat. Auch das Sedativum, mit dem das Koma erzeugt wurde, könnte ursächlich sein.«
Elke Bahr hatte einen Kugelschreiber zu Hilfe genommen. »Natürlich war die eigentliche Ursache Jans epileptischer Anfall, der zu dem Sturz führte. Möglicherweise hat sein Kopf so viel abbekommen, dass er das ohnehin nicht überlebt hätte. Aber wir wollen ganz sichergehen. Es muss absolut transparent sein, damit wir Ihnen ehrlich gegenübertreten können und klipp und klar benennen können, wer womöglich einen Fehler gemacht hat. Es soll Sie nicht auch noch das Gefühl belasten, an irgendeiner Stelle würde etwas vertuscht.«
Herbert Sikorski grinste böse. »Lassen Sie’s gut sein. Davon wird er nicht wieder lebendig.«
»Da haben Sie natürlich völlig recht«, sagte Fogh in der mildesten aller Tonlagen. »Lassen Sie es mich als Arzt sagen – als Arzt, der sich verpflichtet hat, jedes Menschenleben zu retten: Vielleicht helfen uns die Erkenntnisse, die zum Tod Ihres Jungen geführt haben, das Leben andererMenschen zu retten. Ein sehr schwacher Trost für Sie. Eigentlich gar keiner. Dennoch wäre es gut für andere, denen wir solches Schicksal ersparen können.«
Die Mutter des Toten nickte. »Ja, wenn Sie da so sicher sind … «
»Moment!«, meldete sich ihr Mann. »Merkst du nicht, was hier abgeht, Margot? Wir sollen zustimmen, dass sie unseren Sohn auseinanderpflücken!«
»Das ist drastisch formuliert«, sagte Fogh. »Wir arbeiten hauptsächlich mit bildgebenden Verfahren und entnehmen beispielsweise Blutproben. Und auch sonst halten wir uns bei einer Sektion an alle Regularien. Die Würde eines Menschen wird von uns auch im Tod respektiert.«
»Komm, Herbert«, sagte seine Frau sachlich.
Elke Bahr faltete die Hände. »Lassen Sie sich nicht drängen, Herr und Frau Sikorski. Wenn Sie sich die Zeit nehmen wollen, tun Sie dies. Denken Sie in Ruhe darüber nach, wir können bis morgen warten, wenn Sie wollen.«
»Ich sehe da schon Ihre Papiere«, sagte Herbert Sikorski. »Geben Sie her.«
»Sind Sie sich sicher?«, fragte Elke Bahr.
Die Sikorskis berührten sich unter dem Tisch an den Händen und nickten.
Bei der dritten Unterschrift runzelte Sikorski die Stirn: »So viel? Was ist das alles? Wir stimmen der Obduktion zu, das ist das da. Und hier? Was ist das?«
Elke Bahr achtete darauf, dass die Papiere nach der Unterschrift nicht in seinem Blickfeld lagen. »Sie bestätigen damit, was wir besprochen haben. Dass wir Sie in Kenntnis setzen über die Ereignisse. Und wir bestätigen mit
unserer
Unterschrift – sehen Sie? –, dass wir Sie auf dem Laufenden halten. Sie versichern, dass alles seine Richtigkeit hatte, dassSie also Jan die Erlaubnis gaben, trotz der Epilepsie die Jugendreise mitzumachen und dass Sie sich vorbehalten, im Fall bestimmter Erkenntnisse gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Ich meine, das ist Ihr gutes Recht.«
»Erlaubnis?«, fragte Herbert Sikorski. »Klar haben wir Jan die Erlaubnis gegeben. Sogar schriftlich.«
»Alles Formalien«, sagte Elke Bahr und verstaute die Papiere in ihrer Aktentasche.
»Von Epilepsie haben wir nichts gewusst.«
Fogh sah zu seiner Pressesprecherin. »Na ja«, sagte er, »Jan war bei Herrn Professor Lascheter in Behandlung. Und da ging es um Epilepsie.«
»Nein«, sagte der Vater, der kein Vater mehr war. »Jan war bei Ihnen das Testkaninchen. Irgendwann habt ihr herausgefunden, dass mit seinem Kopf etwas nicht stimmt. Aber das war keine Epilepsie. Es hieß immer, die Ursache sei nicht klar. Man müsse dies noch untersuchen und das noch untersuchen. Jan war ganz wuschig dabei geworden, seine Leistungen ließen nach. Jan hatte nie einen Anfall, oder, Margot? Jetzt sag mal!«
Sie weinte.
Ihr Mann gestikulierte heftiger. »In der Schule soll er einmal oder zweimal kurz weggetreten sein. Aber das war bei über 30 Grad, eine Ohnmacht beim Sport. Zu Hause hatte er das nie.«
Fogh deutete auf seinen leeren Schreibblock. »Wir haben hier die Diagnose Epilepsie. Natürlich muss es nicht immer zu solch heftigen Anfällen kommen wie in Graubünden, auf der Reise. Die anderen Jugendlichen haben uns
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