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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Kühlschrank.
    Ein gepflegtes Pils in der Nacht.
    Sympathy for the Devil.
    Aus der Kirche austreten! – der Spinner! Flegeljahre sind keine Herrenjahre

oder wie war das?
    Was gibt es an der Pubertät noch zu forschen? Was macht so ein riesiges Institut? Und was wollen die in den Gehirnen finden? Ist allgemein bekannt, dass das die Chaostage im Leben sind. Wie sagt Sohnemann so schön: Die Pubertät ist die Zeit, in der die Eltern schwierig werden. Aber so ist es. Die Jugendlichen kommen in einen geistigen, körperlichen und seelischen Stimmbruch. Kannste nix machen. Ich hab ja meine Alten auch drangsaliert und gereizt bis aufs Blut. Egal, warum. Und befriedigend war’s für mich nie. Trotzdem musste es sein.
    Hilfreich waren meine Alten ja auch nicht.
Krawallmusik
hat mein Vater zu den Stones gesagt. Ich hab’s lauter gedreht, um ihn zu ärgern. Sie haben überhaupt nicht kapiert, dass das für mich
alles
war, die Musik. Sie haben immer nur gedacht, es geht um sie.
Sie
werden geärgert,
sie
werden tyrannisiert. Dabei wollte ich einfach nur
meins
.
    Er stellte die Wiedergabe von Lenas Film ab und perfektionierte die Krone auf dem Glas Pils.
    An der Pubertät ist nichts neu zu entdecken. Der Fall istgelöst. Man muss sich fragen: Warum hat die Natur es so eingerichtet, dass sich Kinder und Eltern nach Jahren der Symbiose auf einmal nicht mehr verstehen? Das ist keine Erfindung des 21.   Jahrhunderts, um den Kleinen die Chance zu geben, zu Hause auszuziehen und sich eine Wohnung finanzieren zu lassen. Das konnten sie ja früher, in den Großfamilien, auch nicht. Das mit der Pubertät ist viel länger angelegt. In den Genen wahrscheinlich.
    Der weiße Schaum schob sich höher über den Glasrand.
    Wie alt wurden die Menschen früher, zehntausend Jahre vor INRI? Dreißig, fünfunddreißig? Maximal. Und wenn die Sippen herumzogen, waren es die Alten, die den Ton angaben. Die Alten, die kurz vor dem Ende waren. Mit 35, so wie heute mit 95.   Bald würden sie sterben, und schon behinderten sie die Bewegung der Sippe. Dann waren da eben die Jungen, die in die Pubertät kamen. Mut entwickelten, Entfaltung suchten, Verantwortung übernehmen wollten, neue Jagdgründe erschließen. Die Alten aber hinderten sie daran. Die Pubertät ermöglichte den offenen Konflikt. Die Jungen mussten sich über die Alten hinwegsetzen, damit die Sippe flexibel blieb und langfristig überlebte. Notfalls musste so viel Aggressivität her, dass die Kinder ihre eigenen Eltern töteten. Töten
konnten
.
    Melchmer grinste. Heute beklagen wir uns, wenn die Teenies ihre Kopfhörer zu laut stellen. Als ob wir mit dieser Art der Rebellion nicht gut bedient wären. Wir Alten.
    Das Bier war sehr kalt für die einsame Nacht. Aber es machte ihn glücklich.
    Jetzt war er bereit für die beiden Filme von Lena Jenisch. Der Helm,
Italia,
die Kreise, die Sterne, Sand in den Händen, Lena im Bild   …
    Sie schickt Filmchen nach Hause. Wie unsereins Postkarten. Wie geht es euch, mir geht es gut. Was anderes ist das doch nicht. Was wollen die von mir?
    Lothar Melchmer hätte in diesem Augenblick seine Beschäftigung mit dem vermissten Mädchen aufgegeben. Aber da waren noch die Papiere.
    Er hatte Nachrichten über das
Institut Zucker
und die Freizeiteinrichtung PALAU aus dem Netz ausgedruckt. Das Institut tauchte in letzter Zeit im Wirtschaftsteil der Zeitungen auf, aber Themen wie »Investorensuche« und »Gewinnbeteiligung« waren das Letzte, das den Polizisten begeisterte. Er sah keinen Zusammenhang zu Lenas Verschwinden. Auch jetzt nicht, als er bewaffnet mit Lesebrille, Rotstift und Pils noch einmal auf Trüffelsuche ging.
    Im Büro konnte er sich nicht konzentrieren. Da bin ich ein sonderbarer Fall. Mit der Zeit wird es immer schlimmer, ich lese ja die Akten fast nur noch zu Hause. So war das auch nicht gedacht vom Erfinder der Polizei, oder?
    Die Mehrzahl der Artikel im Internet, in denen es einen Bezug gab zum Berliner
Institut Zucker,
behandelten Forschungsergebnisse. Alles auf Englisch, abschreckend. In den wenigen deutschen Texten ging es nicht erhellender zu:
axoplasmatischer Transport, Ionenflüsse, Schwellenpotenzial,
Refraktärperiode   …
Und nix von Lena L. (14) aus B.
    Das PALAU war nicht ganz so verschlüsselt. Auch hier gab es Presseberichte. Interviews mit der Kirchenleitung. Die zu hohen Kosten der Einrichtung. Man könne sie nicht übernehmen. Zoff der Konfessionen, zusammen wollte man es nicht schultern. Gemeinsam traten die Kirchen

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