Jung genug zu sterben
ausschließlich aus Jugendlichen einer seiner Probandengruppen, der sogenannten T44.«
»Normalerweise dürfen nur Jugendliche reisen, die längere Zeit bei uns … beim Institut sind.«
»Genau. In diesem Fall hat der Professor eine Ausnahme gemacht. Er hat sogar selbst die Finanzierung übernommen, was ich ausgesprochen großzügig finde. Er sagte mir, das T4 4-Team habe besonders viel Zeit investiert, und er wolle sich revanchieren. – Apropos großzügig, liebe Melina … Ich habe gehört, dass Ihr Vertrag einseitig beendet wurde. Sie sind doch lange bei uns und genießen das Vertrauen des Instituts? Ich habe mich dafür eingesetzt, dass Sie eine neue Chance bekommen und trotz des kleinen Lapsus, der Ihnen möglicherweise unterlaufen ist, wieder am
Institut Zucker
anfangen können, wenn Sie möchten. Es war ein Kampf mitder Verwaltung, wie Sie sich denken können. Das Einzige ist: Der Vertrag ist bereits beendet. Sie müssten sich bitte offiziell neu bewerben und einen erneuten Vertrag abschließen. Aber das sollte kein Problem sein.«
»Und ich hatte ja an Sie auch eine kleine Frage formuliert«, meldete sich Müller übertrieben kleinlaut. »Sie waren noch bei keiner Reise dabei. Wir suchen qualifizierte ehrenamtliche Gruppenleiterinnen. Warum begleiten Sie nicht eine der nächsten Jugendgruppen? Graubünden ist wundervoll. Reise, Kost und Logis sind für Sie frei, außerdem erhalten Sie eine Aufwandspauschale. Und wenn Sie gern mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, wäre das eine schöne Sache.«
Jenissej sah Melina auffordernd an. »Du willst Lehrerin werden. Das ist ein Topangebot – du lernst für die Praxis und genießt die Berge!«
Melina funkelte ihn zornig an. »Ich werde es mir überlegen. – Vorerst gilt meine Sorge Lena.«
»Selbstverständlich.«
»Selbstverständlich.«
Jenissej nickte. »Inzwischen ist die Polizei im Spiel. Eine Fahndung ist es nicht, aber sie … wollen uns helfen.«
Melina übersah nicht den Blick, den Bahr und Müller tauschten. Sie konnte ihn nicht deuten.
»Ich hab’s immer noch nicht verstanden«, sagte Jenissej und war ein bisschen Schelm. »
Was
genau erforscht ihr jetzt zusammen mit den Kids? Ich kapiere es nicht.«
»Soll ich?«, fragte Elke Bahr den Kollegen Müller, der vermutlich keine Ahnung hatte. »Im menschlichen Zwischenhirn gibt es eine kleine Kammer, übersetzt: Hypothalamus. Professor Lascheter spezialisiert sich auf dieses Hirnareal und dessen Funktion während der Pubertät. Der Hypothalamusist zuständig für die vegetative Steuerung. Also für den Blutdruck, die Körpertemperatur, das Nahrungs- und das Sexualverhalten. Alles das verändert sich während der Pubertät. Professor Lascheter möchte den Betroffenen die übelsten Seiten der Pubertät ersparen. Sie wissen, die Zahl der Suizide bei Jugendlichen steigt in dieser Phase explosionsartig. Jedes fünfte Mädchen fügt sich selber Verletzungen zu, um einen Kick zu erleben. Jungs verunglücken bei riskanten Mutproben. Von anderen Konflikten und seelischen Schäden ganz zu schweigen. Der Professor will selbstverständlich nicht die natürliche Pubertät beseitigen, aber er möchte dazu beitragen, die Kollateralschäden zu verhindern.«
»Wie will er das machen?«, fragte Jenissej. »Beruhigungsmittel? Den Hypothalamus wegdimmen?«
Elke Bahr lachte. »Nein, nein, damit lähmt man ja alles, den Verstand, die Seele, die Kreativität und Lebensfreude. Nein, es geht darum, die physiologischen Prozesse im Gehirn zu verstehen und zu definieren, was von der Natur eigentlich beabsichtigt und insofern Standard ist. Eingegriffen werden soll nur bei überdurchschnittlichen Fehlentwicklungen oder wenn die Betroffenen sehr leiden.«
»Aber was macht er technisch?«, wollte Jenissej wissen.
»Dazu müsste ich ausholen. Ich bin zwar Ärztin, aber ich kann nicht ins Detail gehen wie der Professor. Entscheidend ist ein Neurotransmitter. Der wird vom Hypothalamus produziert, neben anderen Hormonen. Sie sind Künstler? Kennen Sie einen Zustand des
Flow –
also eine Situation, in der Sie alles um sich herum vergessen und ganz in Ihrer Arbeit aufgehen? Und nach ein paar Minuten oder Stunden erst merken Sie, wie die Zeit vergangen ist?«
Jenissej lächelte wissend.
»Sie lächeln. Sehen Sie! Der Neurotransmitter wird etwas übertrieben ›Glückshormon‹ genannt. Er ist für einen solchen
Flow
maßgeblich verantwortlich.«
»Dopamin«, sagte Melina.
»Genau. Der Dopaminspiegel sinkt in der
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