Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
Vom Netzwerk:
nur auf, wenn sie von außen angegriffen wurden: Warum sollen ausgerechnet wir die Kastanien aus dem Feuer holen, wenn private Spekulanten das Großprojekt in den Straßengrabenfahren? Stimmt. Auch wenn sich Melchmer über die schiefe Metaphorik der Gottesleute wunderte.
    Es war nur eine Zeitung gewesen, die darüber berichtete, aber sie war bei der Stange geblieben. Auf einer Tour in den Abenteuerurlaub hatten sich zwei Jugendliche schwer verletzt. Das Mädchen starb nach Wochen im Krankenhaus. Hirnblutungen. Die Eltern klagten wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Aber das Gericht beschied dem PALAU verantwortliches Handeln. So endete die Berichterstattung. Wie die Eltern damit fertig wurden, interessierte nicht mehr.
    Melchmer hatte die Akten zu dem Fall gezogen und blätterte darin. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren eingestellt. PALAU hatte nachweisen können, dass genügend Aufseherinnen und Aufseher dabei waren. Zeugenaussagen bestätigten das; die Jugendlichen waren offenbar einstimmig auf Seiten der Organisation. Niemand bezweifelte, dass das Mädchen und der Junge auf eigene Faust gehandelt hatten – gegen die Warnung der Begleiter und ihrer Freunde kletterten sie ein Felsennetz hinauf und leisteten sich dabei einen Wettlauf, der nicht mehr entschieden werden konnte.
    Die Eltern waren zuvor auf die Gefahr der Bergtouren hingewiesen worden und hatten eine
Belehrung
unterschrieben. Eine Kopie davon war in den Akten. Man solle seine Kinder vor Antritt der Reise auf die Risiken hinweisen und ihnen Verhaltensmaßgaben unterbreiten.
    Melchmer lachte.
    Im Gerichtsverfahren standen die Eltern des Mädchens allein auf der Klägerseite. Der Vater des Jungen sah keine Chance, die Mutter war nicht erreichbar. Das Gericht handelte den Fall so wortkarg ab, dass Melchmer für einen Moment das Blut stockte. Immerhin konnten die Eltern die zweite Instanz anrufen, die sich intensiver mit den Beschuldigungenbefasste. Mitreisende Jugendliche wurden ebenso vernommen wie PALA U-Personal . Dennoch wies die Kammer die Klage ab, ohne eine weitere Berufungsmöglichkeit. Das Urteil war gerade erst rechtskräftig geworden.
    Melchmer blätterte kreuz und quer, las bald hier, bald dort einen Satz.
Zucker
  … Wieso schmeckt das Bier eigentlich jedes Mal besonders bitter, wenn ich den Namen lese? Die Assoziation mit süßem, weißem Zucker?   … Wird Alkohol nicht aus Zucker gemacht? – Nehme ich noch ein Pils? Nee, es ist drei. Mit Restalkohol in den Dienst fahren – geht nicht.
    Während er blätterte und auf Eingebung wartete, legte sich so etwas wie ein Schleier über die Szenerie. Er kannte dieses Gefühl. Manchmal gab es eine Fülle an Daten, die sich nicht zu einem Gesamtbild zusammenfanden. Entweder blitzte dann doch plötzlich ein Gedanke auf, oder diese Schleier kamen aus dem Nichts, legten sich wie Lethargie über die Akten und über seine Hände und signalisierten ihm, dass es aussichtslos war. Dass weiteres Insistieren nichts brachte.
    Über Lena werde ich hier nichts finden. Sie macht ihre Filmchen. Tut es ihrem Vater nach, das ist ja auch so ein Ausgeflippter. Vielleicht versucht sie, ihn mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen.
    Nein, an dem Fall ist einfach nichts dran. Er wird sich aus eigener Kraft erledigen. Eine simple Auflösung, wenn ich überhaupt jemals wieder davon höre.
    Der Schleier war da.
    Auf seine Intuition konnte er sich verlassen. Jedenfalls, wenn der Schleier nicht bloß Müdigkeit war.

34
    »Greifen Sie zu! Oder haben Sie schon gefrühstückt? Kaffee?«
    Jenissej lehnte mit knapper Geste ab, Melina hätte weder essen noch trinken können.
    »Ich muss mich in aller Form entschuldigen«, sagte Elke Bahr. »Sie hatten durch unser Institut Unannehmlichkeiten, die jede Grenze überschreiten.«
    »Es war jedenfalls beeindruckend«, sagte Jenissej und deutete eine jener muskelbepackten Sicherheitskräfte an, die sie am Vorabend angehalten und in die Mangel genommen hatten.
    »Vielleicht sollte ich uns noch einmal offiziell vorstellen. Meine Funktion beim
Institut Professor Zucker
ist die der Abteilungsleiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Dies hier ist Herr Müller, seines Zeichens verantwortlich für die Jugendsektion bei PALAU.«
    Man grüßte noch einmal, Köpfe bewegten sich.
    »Ich danke Ihnen, dass Sie so kurzfristig und noch dazu an einem Freitagmorgen zu uns hinausgekommen sind«, trällerte Bahr. »Das ist ja nicht selbstverständlich. – Ich will Sie nicht auf die

Weitere Kostenlose Bücher