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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Pubertät. Die Jugendlichen müssen einen viel größeren Aufwand treiben als Kinder oder Erwachsene, um sich glücklich zu fühlen oder einen
flow
zu erleben. Es gibt viele Methoden, den Dopaminspiegel anzuheben. Aber der Professor möchte systematischer und dezidierter an die Ursachen herankommen. Er sucht nach Wegen, das Gehirn zu veranlassen, von sich aus die Produktion von Neurotransmittern gar nicht erst zu reduzieren. Außerdem kommt es wohl nicht nur auf das Dopamin an. Die Gesamtmischung macht’s.«
    »Mit Lenas Gehirn hat er auch experimentiert?«, fragte Jenissej.
    »Nein. Erstens experimentiert er nicht. Wir experimentieren überhaupt nicht mit Jugendlichen. Unsere Testreihen sind Beobachtungsaufbauten, keine Eingriffe. Zweitens ist Lena keine Teilnehmerin an der T44.   Schauen Sie, ich habe Ihnen diese Liste heraussuchen lassen. Ich wollte ja auch selbst noch mal sichergehen. Das sind die Namen der jungen Menschen, die in der Testreihe sind. Die mit dem Häkchen hinter dem Namen haben an der letzten Reise teilgenommen. Sie sehen, fast alle haben einen Haken. Lena war als Assistenz der Gruppenleitung dabei. Sie hatte sich spontan entschieden.«
    »Ja, spontan ist sie«, sagte Jenissej.
     
    »Ich höre ständig neue Antworten, was dieses Institut treibt«, schimpfte Jenissej, als sie das Gelände verließen.
    »Hirnforschung ist vielseitig«, sagte Melina. »Außerdemzielt das meiste darauf, das jugendliche Gehirn zu verstehen. Nur gehen die Herren Professoren unterschiedliche Wege. Kraniotakes und Rachesch konzentrieren sich in letzter Zeit sehr auf die Wirkung schulpädagogischer Maßnahmen, Zucker und Lascheter auf medizinische Eingriffe. Allerdings sind sie sich alle nicht einig. Zucker will Geld machen mit Hirnimplantaten und Medikamenten. Bei Lascheter bin ich mir nicht sicher.«

35
    Auf meine Eltern zu warten ist Unsinn. Sie sind ja längst tot.
Wieso habe ich geglaubt, sie würden noch zu mir stoßen?
Mein Vater lebt schon lange nicht mehr. Meine Mutter   … ist
sogar vor ihm gestorben. Oder habe ich sie gestern noch gesprochen?
    Hier jedenfalls werde ich ihr nicht begegnen, in der Dünenlandschaft. Aber ein Meer ist nicht hinter den Sanddünen,
nur die Sonne, die wie ein Tennisball auf- und abhüpft oder
– wie jetzt – hinter dem Milchhimmel verschleiert ist, sich
vielleicht überhaupt nicht mehr zu bewegen traut.
    Der Wüstensand schimmert trotzdem, wie bei einer Fata
Morgana. Zum Horizont hin ist es nur noch schwingendes
Licht. Sehr hell, beinahe weiß. Ein Weiß, das in den Himmel
übergeht. Es gibt hier also Lichtspiegelungen, obwohl der
Himmel bedeckt ist. Wie funktioniert das? Im Sachkundeunterricht
nicht aufgepasst.
    Oder wir hatten das nie: Was macht das Licht in einer
Wüste, deren Sand kein Sand ist?
    Wenn ich ihn zwischen den Fingern fühle, heiß wie er ist –
das ist kein Sand, das sind winzige Diamanten. Diamantenstaub. Aber dann sind das ja unglaubliche Werte! Jetzt nützt
mir das nichts, ich kann mir nicht in der Wüste die Taschen
mit Sand vollstopfen. Aber ich weiß ja, wo es ist, ich kann meinen
Eltern Bescheid sagen, sie müssen mir beim Transport
helfen. Wenn sie das Auto nehmen. Oder sie bestellen einen
Bagger.
    Der Sand ist ganz anders. Wenn ich ihn zwischen den Fingern
reibe, sondert er ein Fett ab, etwas Sämiges. Wie Sonnenmilch. Der Diamantstaub löst sich auf, wird flüssig. Das ist
nicht schlecht, so kann ich ihn gut transportieren und verkaufen.
    Ich muss meine Richtung halten, darf den inneren Kompass
nicht verlieren. Schwierig, weil ich keine klare Sonnenrichtung
habe. Ich muss mich beeilen. Die Nächte sollen furchtbar kalt
sein in der Wüste, und außer dem dünnen Hemd habe ich
nichts.
    Ich kann auf dem Sand laufen, obwohl er sich verflüssigt.
Wie geht das? Knie dich hin, prüfe die Beschaffenheit dieses
Wüstendünenbodens.
    Die flache Hand liegt fest wie auf Sand. Sand ist so unbeständig, doch in Massen auf dem Boden, am Strand oder in
der Wüste, trägt er mich wie Beton. Aber schon bewegt er
sich. Nicht flüssig. Nachgiebig. Wie Rührteig. Etwas klebrig.
Die Hände mit den gespreizten Fingern kann ich hineindrücken, dann umfasst der Sandteig meine Hände ganz.
    Ich kann sie nicht herausziehen.
Ist es das, was man Treibsand nennt? Habe ich nie gesehen
und nie erlebt.
    Das Gewicht meines Oberkörpers drückt mich weiter hinein.
    Behalte wenigstens das Kinn oben!
    Ich rutsche immer tiefer. Je mehr ich ankämpfe, desto stärker
zieht es mich! Ich

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