Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
im vierten Lebensalter
Jenseits des 85. Lebensjahres (im sogenannten vierten Lebensalter) geht das Altern selbst bei einem gehirnförderlichen Lebensstil häufig mit erheblichen sensorischen und motorischen Defiziten einher. Es wird immer schwieriger, die kognitiven Fähigkeiten durch die Lebensführung auf einem stabilen Niveau zu halten. Ab diesem Alter, so propagiert der Berliner Altersforscher Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, sind »flexibel unterstützende Technologien« ein aktueller und vielversprechender Ansatz. Gemeint sind Geräte, die Gewohnheiten und Handlungsweisen ihrer Nutzer erkennen, ja sogar lernfähig sind und sie aktiv unterstützen, etwa in der Sensorik und Motorik, die im Alter manchmal enorme Gehirnressourcen beanspruchen. Wenn man beispielsweise beim Gehen reden soll, sich aber vollständig auf den Untergrund konzentrieren muss, wird klar, warum es sinnvoll ist, auf einen Gehstock bis hin zu komplexen Fahrgeräten zurückzugreifen. Ein anderes Beispiel sind Hörgeräte für die immerhin 75 % der 70- bis 80-Jährigen, die an deutlichen Funktionseinbußen im Hörbereich leiden. Sie stellen sich heute flexibel auf die Frequenzen und die Art der Geräusche ein (z. B. werden spezielle Sprachbereiche verstärkt und richten sich automatisch an der Raumgeräuschkulisse aus).
Hinsichtlich intelligenter Haustechnologie für ältere Menschen bedarf es noch einer intensiven Entwicklung, die berücksichtigt, dass sie sich an die älteren Menschen anpasst, und nicht wie bisher umgekehrt, dass die Ältesten sich an die jüngste Technologie anpassen müssen. Hier wäre es z. B. spannend, Technologien zu entwickeln, die im Blick haben, dass ältere Menschen leichter ablenkbar sind, und sie deshalb darin unterstützen, die von ihnen verfolgten Ziele nicht aus dem Fokus zu verlieren. Wie das im Zeitalter von GPS und mobiler Hochtechnologie aussehen könnte, hat sich Ulman Lindenberger schon einmal ausgemalt: Frau M., eine noch rüstige Rentnerin, erhält von ihren Enkeln ein elektronisches Gerät. Es sieht aus wie ein zu groß gewordenes Mobiltelefon. Dieses Gerät ist von jetzt an ihr ständiger Begleiter. Anzumerken ist noch, dass Frau M. frühzeitig ein richtiges Mobiltelefon benutzt hat, so dass sie viele Funktionen des neuen Geräts schon kennt. Aber dieses Gerät hat es in sich, nicht nur dass das Display groß und gut ausgeleuchtet ist, es kann auch »lernen«. Etwa die Gewohnheiten von Frau M.: Wann ruft sie wen an, wann geht sie häufig wohin, wo geht sie einkaufen und welche Produkte kauft sie häufig (natürlich garantiert das Gerät den Datenschutz). Das Gerät registriert auch, wann Frau M. normalerweise aufsteht. Wenn bei Frau M. in einigen Jahren die kognitiven Fähigkeiten nachlassen und vor allem ihr Orientierungssinn und ihr Zeitgefühl schwächer werden, kann das Gerät sie an Dinge erinnern, die sie regelmäßig absolviert hat, es kann ihr als Navigationssystem ihre Wege beschreiben etc. Wenn Frau M. ihre Einkaufsliste in das Gerät spricht, kann es automatisch die richtigen Geschäfte ansteuern und im Laden selbst an die Einkaufsartikel erinnern. Wenn Frau M. dann eines Tage nicht wie jeden Tag um 9 Uhr aufsteht, beginnt das Gerät um 9:15 Uhr zu klingeln; erfolgt bis 9:30 Uhr keine Reaktion von Frau M., aktiviert es den Notruf.
Frischzellenkur für graue Zellen?
Muss man sich also ganz auf sich selbst und die Technik verlassen, um den Alterungsprozess des Gehirns zu entschleunigen? Schließlich investieren Pharmakonzerne Milliarden in die Erforschung der mentalen Leistungssteigerung mittels Pillen und Präparaten für das gesunde alternde Gehirn. Bisher allerdings können kein Zaubermittel, kein Lebensstil und keine genetische Ausstattung das Altern stoppen. Aber es gibt Pharmaka, die in dem Ruf stehen, die Alterung des Gehirns zu verlangsamen, die versprechen, die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen optimal auszuschöpfen. Der Haken ist: Die Wirksamkeit vieler Medikamente lässt sich klinisch nicht eindeutig nachweisen, und langfristige gesundheitliche Schäden sind kaum abzuschätzen. Man kann im Moment nur zur Vorsicht mahnen vor dem Kauf von Produkten auf dem »Markt des Vergessens«! Anders bei demenzkranken Patienten, die ein Medikament verschrieben bekommen; dieses kann in der Tat in der Lage sein, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Nur funktioniert der Umkehrschluss von den Kranken zu den Gesunden nicht, denn was die Gedächtnisleistung
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