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Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Titel: Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
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bildgebender Verfahren Funktionsbereiche lokalisieren kann, ist die Stirnhirnrinde allmählich erschlossen worden. Die wichtigsten Gebiete des Stirnlappens sind die motorische Rinde, das zusätzliche motorische Feld, das prämotorische Feld, das Broca-Zentrum und der präfrontale Cortex.
    Die motorische Rinde (Abb. 5), die sich an der Grenze zum Scheitellappen befindet, enthält, wie wir annehmen, die komplette Repräsentation des menschlichen Muskelapparates. Durch ihre Aktivitäten löst sie die Muskelbewegungen aus und übernimmt deren Koordinierung, wobei die linke Rinde die Motorik der rechten Körperseite kontrolliert und steuert und umgekehrt. Allerdings gibt die motorische Rinde nur eine grobe Richtung der Bewegung vor, die Details werden dem Kleinhirn und den Basalganglien überlassen. Wie Bewegungen ohne Beteiligung des Kleinhirns aussehen, kann man sehr gut bei schwer angetrunkenen Menschen beobachten, die, über den Alkohol vermittelt, unter einer Verlangsamung der Kleinhirnfunktionen und damit einhergehend Funktionsverlusten im Bewegungs- und Gleichgewichtsapparat leiden.
    Zum motorisch koordinierenden Apparat der Großhirnrinde gehört auch das prämotorische Feld. Es plant die Abfolge unserer Bewegungen. Wie S. E. Luria, einer der berühmtesten russischen Neurologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, festgestellt hat, äußern sich Schädigungen in diesem Feld darin, dass die Patienten zwar einzelne Bewegungen ausführen können – etwa einen Schlüssel in ein Schloss stecken –, aber Schwierigkeiten mit den Bewegungsabfolgen haben – etwa den Schlüssel auch umzudrehen, die Klinke herunterzudrücken und schließlich die Tür zu öffnen. Musiker z. B. machen von ihrem prämotorischen Feld regen Gebrauch, wenn sie im wechselnden Takt der Musik die Noten vom Blatt ablesen. Ist ihr prämotorisches Feld gestört, fällt es ihnen zwar nicht schwer, einen bestimmten Rhythmus, wie schnell er auch sei, beizubehalten; den Rhythmus zu wechseln ist aber ein Problem.
    Der Stirnlappen enthält einen Teil unseres Sprachzentrums, das Broca’sche Sprachareal, das für die motorische Koordination unseres Sprechens und deren grammatikalische Verarbeitung zuständig ist. Bei diesem Vorgang müssen wir bis zu 100 Muskeln koordinieren, und das – je nach Redefluss – bei einer Geschwindigkeit von bis zu 20 Lauten pro Sekunde oder 180 Wörtern pro Minute. Patienten, deren Broca-Areal durch einen Schlaganfall geschädigt ist, fällt es eigenartigerweise schwer, Verben zu benutzen. Sie sprechen hauptsächlich in Substantiven. Erstaunlicherweise sind sie aber oft imstande, Wortfolgen, die sie nicht mehr sprechen können, zu singen.
    Der präfrontale Cortex im Stirnlappen (Abb. 1) ist der Teil des Stirnlappens, an dem wir viele unserer Entscheidungen treffen, unser bewusstes Verhalten organisieren und koordinieren und unsere Zukunft planen. Insgesamt lassen sich die Funktionen des Stirnlappens mit den Aufgaben eines Geschäftsleiters vergleichen. Mit ihm planen und entscheiden wir und behalten unseren Plan auch lang genug im Kopf. Mit ihm entwickeln wir Strategien für verschiedene Eventualitäten, beobachten den Gang der Dinge und ändern, wenn nötig, unsere Vorgehensweise. Wird dieser Bereich des Gehirns geschädigt, sind wir nicht mehr in der Lage, Anspielungen, Umschreibungen und Metaphern zu verstehen, sondern nehmen sie wörtlich. Anders gesagt: Kompetenzen wie Abstraktionsfähigkeit und Kontextualisierung gehen verloren. Infolge von Alterungsprozessen treten vor allem in diesem Gehirnareal Veränderungen auf, die zwar einerseits mit Funktionsverlusten verbunden sind, andererseits aber auch mit einer Fähigkeit, die man nur im Zuge des Alterns entwickeln kann: Weisheit.
    Neben dem Stirnlappen liegt der Scheitellappen (Parietallappen). Er gehört zum somatosensorischen Rindenanteil, der »Körperfühlsphäre«. Er wertet die Tastinformationen unserer Haut aus und scheint auch der Ort zu sein, wo wir uns wahrnehmen und unsere Umwelt konstruieren. Schädigungen in einem der beiden Scheitellappen können zu einer Form der Agnosie (einer Störung des Erkennens) führen. So konnte ein Patient, dessen rechter Scheitellappen durch einen Schlaganfall geschädigt war, sowohl seine gesamte linke Körperhälfte als auch einen Teil seiner Umgebung nicht mehr wahrnehmen. Er malte alle zwölf Zahlen einer Uhr in ihre rechte Seite (die linkshemisphärisch verarbeitet wird, und diese Seite war unversehrt geblieben). Ist

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