Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
nicht der Hund.» Zu Hause wartet schon Oma mit sorgenvoller Miene.
«Na, Walter, ihr kommt aber spät.»
«Ja, tut mir leid, Friedel. Mathias, zeig Oma mal, was wir alles mitgebracht haben.»
Ich mache die Tasche auf, und Oma schlägt die Hände vors Gesicht.
«Die hat Mathias ganz allein gepflückt», sagt Opa.
Obwohl alle wissen, dass das nicht stimmt, sagen sie weiter nichts, und Oma schüttet sorgsam die Tasche in eine Keramikschüssel, damit die Beeren nicht kaputtgehen. Das ganze Haus riecht nach Grünkohl, denn Oma kocht immer gleich für mehrere Tage. Nebenan im Wohnzimmer übt Mutter eine Fuge von Johann Sebastian Bach. Das ist unser Lieblingskomponist. Mutter sagt, dass er ein Genie war, und das glaube ich gern.
«So, Gretchen, jetzt wollen wir mal zu Tisch.»
Opa und ich vertilgen das Essen mit Heißhunger, wir haben ja auch etwas geleistet. Mutter zieht einen Flunsch.
«Schmeckt’s dir nicht, Gretchen?», fragt Oma.
«Doch, Mutti, es schmeckt gut. Der Grünkohl ist vielleicht noch nicht ganz durch.»
Oma ist beleidigt, lässt sich aber nichts anmerken. Oma ist sonst nie beleidigt oder eingeschnappt, nur wenn es um ihr Essen geht, versteht sie keinen Spaß.
Nach dem Essen bereitet sich Mutter sorgfältig auf den Unterricht vor. Sie sagt, Vorbereitung ist das halbe Leben. Nicht das ganze, aber das halbe. Und dann sagt sie noch oft, dass Kannichnicht gestorben ist. Erst habe ich es nicht verstanden, aber jetzt weiß ich, was sie meint. Sie hätte gerne mehr Schüler, die so begabt sind wie Sigrun, aber das ist schwer, in der Jugendmusikschule gibt es nämlich keine Aufnahmeprüfung, und jeder kann eintreten und mitmachen. Mutter schlägt manchmal die Hände über dem Kopf zusammen, weil die meisten Schüler so unbegabt sind, aber sie gibt natürlich trotzdem immer ihr Bestes, weil sie sehr gewissenhaft ist. Ich muss vom Grünkohl aufstoßen, und Opa sieht aus, als wäre er schon eingeschlafen. Sein Kopf sinkt auf die Brust, und aus seinen Mundwinkeln kommt Luft. Er hat wie immer ein Lätzchen um, damit der gute Anzug nicht schmutzig wird. Oma stößt ihn an:
«Nun komm mal, Walter, was sind denn das für Sitten? Geschlafen wird im Bett.»
Opa schreckt hoch.
«Oh, Entschuldigung, Friedel, ich glaube, ich bin eingenickt.»
Friedel heißt «die Friedliche», hat mir Oma mal erklärt. Dann geht Opa nach oben ins Schlafzimmer und hält einen Mittagsschlaf. Oma weckt ihn um Punkt drei auf, sonst würde er glatt bis zum Abendbrot oder noch länger durchschlafen. Einmal habe ich Oma am Telefon sagen hören, dass er in letzter Zeit abgebaut hat. Ich finde das nicht, denn wie Opa heute Beeren gesammelt hat, soll ihm erst einmal einer nachmachen in dem Alter, er ist schließlich im vorigen Jahrhundert geboren, 1890.
Oma macht den Abwasch allein. Mutter hat mir mal gesagt, dass sie es gar nicht mitansehen kann, wie Oma abwäscht, weil das Geschirr hinterher immer noch ganz schmuddelig ist, Oma hat ja nicht mehr so gute Augen. Manchmal spült Mutter die Sachen heimlich nach. Weil ihr schlecht wird, sagt sie, und außerdem ist es unappetitlich, aber ich soll Oma bloß nie etwas sagen, sonst denkt sie, dass sie keine gute Hausfrau mehr ist, und sie war doch ihr Leben lang eine gute Hausfrau. Ich bleibe am Küchentisch sitzen und beobachte Oma. Helfen muss ich nicht, weil ich Einzelkind bin, und die müssen nicht so ran wie Geschwisterkinder. Oma pfeift beim Abwasch immer vor sich hin, sie schürzt ihre Lippen, und heraus kommen Volkslieder und Lieder aus ihrer Kinderzeit. Ich frage mich, ab welchem Alter man wohl nicht mehr pfeifen kann. Opa pfeift nie, aber der macht sich ja auch nichts aus Musik. Mutter kommt in die Küche gehetzt. Sie hat dauernd Angst, zu spät zu kommen, dabei geht sie immer pünktlich aus dem Haus. Aber der Unterricht strengt sie sehr an, das weiß ich, weil sie immer ihr Bestes gibt. Vor meiner Geburt hat sie mal als Sekretärin in Köln gearbeitet. Das hat ihr sehr gut gefallen, jedenfalls besser als jetzt als Musiklehrerin. Oma hat ihr für heute Äpfel klein geschnitten und ein Vollkornbrot mit Scheiblettenkäse und zur Krönung einen Fruchtriegel aus dem Reformhaus, das ist Mutters absolutes Lieblingsessen. Haselmark heißt der, den isst sie schon, solange ich denken kann. Mir schmeckt er auch ganz gut, aber richtige Süßigkeiten schmecken natürlich viel besser. Mutter zählt immer auf, was im Haselmark alles Gutes drin ist, und sagt, je eher ich mich daran gewöhne, desto
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