Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
eventuell aus Sicherheitsglas, ich bin aber tausendprozentig sicher, dass das nicht stimmt, so oft habe ich davorgestanden und alles bis ins kleinste Detail inspiziert. Sicherheitsglas müsste viel dicker sein, wie Brillengläser, durch die alles größer erscheint. Die Pistolen in der Auslage sehen aber ganz normal aus. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit von Panzerglas jedenfalls auf höchstens 20:80, wenn überhaupt. Außerdem haben wir uns die ideale Zeit für einen Überfall ausgesucht, es ist nämlich Ferienbeginn, da sind die meisten Vögelchen ausgeflogen. Übermorgen geht’s für drei Wochen nach Todtglüsingen. Bis ich wieder hier bin, ist längst Gras über die Sache gewachsen. Ich stehe auf und mache ein paar Kniebeugen, damit der Kreislauf in Gang kommt. In spätestens drei Stunden bin ich Besitzer mehrerer Handfeuerwaffen! Allein bei der Vorstellung, wie ich auf der Fahrt nach Todtglüsingen eine Pistole unter der Jacke mit mir führe, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Riesel. Wie Manfred wohl reagiert? So was traut der mir im Leben nicht zu. Er wird behaupten, dass ich ihn verarsche, aber für den Fall habe ich auch schon vorgeplant: In den Harburger Anzeigen und Nachrichten steht am nächsten Tag hundertpro ein Artikel, «Überfall auf Waffengeschäft» oder so was in der Art. Den schneide ich dann aus und präsentiere ihn zusammen mit den erbeuteten Pistolen.
Ich habe mir Trainingsanzug, einen Hammer und eine Zange zurechtgelegt. Die Zange nur zur Sicherheit, vielleicht muss man etwas aufbiegen, womit man nicht gerechnet hat.
So, nun aber. Waffen und Angelbedarf Uhrig liegt ungefähr zwei Kilometer stadteinwärts an der Winsener Straße, die dort einen Knick beschreibt. Ein toter Winkel, noch etwas, das für ein Gelingen spricht. Aber noch bevor ich aus dem Haus bin, passiert schon ein erstes Unglück: Weil meine Füße vor lauter Aufregung schweißnass sind, rutsche ich ab und holpere volles Brett auf dem Arsch die Treppenstufen runter. Ich kann mich gerade noch beherrschen, nicht laut aufzuschreien, und bleibe mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen. Gleich stürmen bestimmt die Erwachsenen aus ihren Zimmern und stellen mich zur Rede. Barfuß mit Trainingsanzug, Hammer und Zange, da kann ich viel erzählen. Ich suche krampfhaft nach einer Ausrede: Hammer und Zange habe ich versehentlich mit nach oben genommen, und jetzt wollte ich sie in den Keller zurückbringen. Und den Trainingsanzug habe ich an, weil ich seit dem Keuchhusten damals empfindliche Bronchien habe. Egal, gegen Mutter hätte ich keine Chance, die würde so lange bohren, bis sie es raushätte, also am besten gleich alles zugeben, dann hat man’s hinter sich. Ich zähle langsam bis sechzig … 58, 59, 60. Doch es bleibt mucksmäuschenstill. Das gibt es doch gar nicht! Stufe um Stufe schleiche ich ins Erdgeschoss und ziehe, so leise ich kann, die Haustür ins Schloss. Ich hab ja schon viel erlebt, aber das toppt alles. Doch schon passiert das nächste Malheur: Auf dem Walsroder Ring kommt mir ein Paar entgegen. Und das wochentags! Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, dass um diese Uhrzeit noch jemand unterwegs ist. Unauffällig wechsle ich die Straßenseite. Flöt. Zum Glück erwische ich eine unbeleuchtete Passage zwischen zwei Straßenlaternen. Der Mann guckt trotzdem zu mir rüber und macht ein neugieriges Gesicht, das sehe ich von hier. Wenn der mich zufällig erkennt, bin ich geliefert. Ich tu so, als hätte ich einen Hut auf, und lupfe den. Theoretisch könnte ich mein Großvater sein, ich bin mit eins zweiundsechzig immerhin schon zwei Zentimeter größer als er. Und tatsächlich, der Mann grüßt zurück, und ich kann unbehelligt meiner Wege ziehen. Den Braten haben sie geschluckt! Meine Aufregung legt sich etwas. Vielleicht ist es sogar gut, dass ich bereits jetzt in zwei brenzlige Situationen geraten bin. Für die wirklich kritischen Momente bin ich dann gewappnet, wer weiß, was noch alles auf mich zukommt. Irgendwas fühlt sich komisch an im Mund. Als ich mit der Zunge umhertaste, merke ich, dass ich noch meine Zahnklammer drinhabe! Seit einem Jahr muss ich nachts eine lose Spange tragen. Manchmal vergesse ich tagelang, sie einzusetzen, und dann zwiebelt es immer wie sonst was, weil die Zähne wieder in ihre ursprüngliche Position zurückkehren. Außerdem stellt der Zahnarzt die Klammer einmal im Monat enger. Das Elend soll gehen, bis ich sechzehn bin! Das halte ich niemals durch, das weiß ich jetzt
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