Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
schon. Scheißklammer. Sieben Zähne hat er mir auch noch gezogen. Ich habe geblutet wie ein Schwein. Mutter sagt immer, Zähne sind die Visitenkarte des Menschen, und wer mit schiefem Gebiss rumläuft, kann sich gleich begraben lassen. Schaufel. Ich verstaue die Klammer in der Trainingshose, Einbrecher mit Zahnklammer, wo gibt’s denn so was.
Wo ist Martin? Fünf nach eins und keine Spur von ihm. Wieder eingepennt, habe ich es mir doch gedacht. Aber unverrichteter Dinge umkehren kommt nicht in die Tüte, so eine Chance gibt’s nicht so häufig. Zehn nach eins. Martins Zimmerfenster steht auf kipp. Ich überlege. Vielleicht ist er nur kurz eingenickt, und schon das kleinste Geräusch wird ihn aus dem Schlaf reißen. Ich lese Steinchen auf und werfe sie gegen die Scheibe. Nichts. Größere Steine. Immer noch nichts. Langsam müsste er doch mal wach werden! Pling, schepper, klirr.
Dann öffnet sich das Fenster. Endlich. Doch statt Martins Lockenmähne schiebt sich der Quadratschädel von Herrn Schipanski aus dem Fenster. Oh nein, oh nein, oh nein! Ohne groß zu überlegen, mache ich auf der Hacke kehrt und stratze, so schnell ich kann, davon. Hammer und Zange werfe ich irgendwohin. Ob Herr Schipanski mich erkannt hat? Höchstens am Gang, aber ich bin ja nicht gegangen, sondern gerannt, und Herr Schipanski hat mich vielleicht noch nie im Leben rennen sehen, daher könnte ich ja irgendjemand sein. Am Walsroder Ring zwingen mich Seitenstiche zu einem Zwischenstopp. Ich bin so ausgepowert, dass mir schlecht ist. Als sich meine Atmung halbwegs beruhigt hat, gehe ich die verschiedenen Möglichkeiten durch:
Unser Haus ist hell erleuchtet, weil die Polizei bereits auf mich wartet.
Herr Schipanski hat bei uns zu Hause angerufen und Mutter alles haarklein erzählt.
Er hat Martin zwar ertappt, doch der hat den Mund gehalten.
Alles ist rausgekommen.
Wie man es dreht und wendet, die Prozentzahlen haben sich umgekehrt und richten sich jetzt gegen mich: Ich schätze die Chancen, mit heiler Haut herauszukommen, auf maximal zwanzig Prozent. Unser Haus ist dunkel und totenstill. Möglichkeit A scheidet also schon mal aus. Ich bin so durch den Wind, dass ich bestimmt eine halbe Stunde brauche, um mich nach oben zu schleichen. Jetzt die dusselige Klammer einsetzen und so tun, als wäre nichts gewesen! Ich betaste meine Trainingshose – nichts! Ich stülpe alle Taschen um – nichts, nichts, nichts. Oje, auf der Flucht verloren, das gibt zusätzlich noch mal richtig Ärger. Ich werde einfach sagen, dass der Zahnarzt gemeint hat, ich bräuchte keine Klammer mehr. Ständig diese Lügerei!
Es ist gekommen wie befürchtet: Martin hat alles gebeichtet, worauf sie ihm den Umgang mit mir strengstens untersagt haben. Wie ich Martin kenne, wird er sich dran halten, er hat ziemlichen Schiss vor seinem Vater. Gott sei Dank haben Schipanskis nicht bei uns angerufen. Gott sei Dank, Gott sei Dank, denn ich bin sicher, dass mich Mutter zur Strafe nicht nach Todtglüsingen lassen würde, und sonst käme sicher auch noch einiges. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, auf was für ein Himmelfahrtskommando wir uns da eingelassen hatten. Nie im Leben wären wir mit unseren lächerlichen Pupswerkzeugen durch die Scheibe gekommen, die Polypen hätten uns hundertpro erwischt, die sind ja nicht total behindert, und dann wären wir nach Hahnöfersand gekommen. Auf der Elbinsel Hahnöfersand befindet sich die härteste Jugendstrafanstalt Hamburgs; wer dort hinkommt, hat nichts mehr zu lachen. Flucht ist aussichtslos, weil die Insel vom Wasser umgeben ist, wie Alcatraz.
Wie soll ich den Tag bloß rumbekommen? Mutter haut mir mal wieder meine miserablen schulischen Leistungen um die Ohren. Ich habe die Beobachtungsstufe mit drei Fünfen und zwei Sechsen beendet, die Sechsen in Mathematik und Physik, wo sonst. Im letzten Halbjahr war bedingungslose Kapitulation angesagt, Herr Dierks hat seinen Triumph ordentlich ausgekostet und mich mit keinem einzigen Wort mehr bedacht, das Aas. In meinem Zeugnis stand eine Empfehlung für die Hauptschule, aber das hätte eine zu große Schande für unsere Familie bedeutet, und so bin ich erst mal auf der Realschule gelandet. Aber auch hier hatte ich große Schwierigkeiten mitzukommen, und es stand zwei Jahre nacheinander haarscharf auf der Kippe. Mein Klassenlehrer hat gesagt, ein drittes Mal würde er sich auf der Konferenz nicht mehr für mich einsetzen und ich müsste nach der Neunten mit
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