Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
ein Brummkreisel durch die Gegend. Wir umarmen den kleinen Kai und putzen das famose Kerlchen fein säuberlich wieder ab. Der Traum endet immer mit dem Bild, wie er mit leuchtenden Augen auf meinem Schoß sitzt und ihm das Mehl aus den Haaren und aus allen Poren rieselt.
Lexi ist überfahren worden! Er wurde richtiggehend zermanscht, eigentlich kann es nur ein Trecker oder ein noch größeres landwirtschaftliches Gerät gewesen sein. Vielleicht sogar ein Mähdrescher oder Rübenroder. Wer es war, wird wohl für immer verborgen bleiben, denn es hat sich niemand bei Oma Emmi gemeldet. Wir hatten natürlich als Erstes Herrn Ristoff in Verdacht, aber wer will ihm das nachweisen? Oma Emmi hat die ganze Woche lang bitterlich geweint. Erst Onkel Horst, jetzt Lexi. Aber nach der Trauerzeit hat sie sich einen neuen Kurzhaardackel besorgt und auf den Namen Dachsi getauft. Das Tier ist vom Charakter her das genaue Gegenteil von Lexi: quirlig, bei jeder Kleinigkeit am Kläffen und vor allem bissig wie die Pest. Jeder Besuch wird sofort attackiert. Der Briefträger weigert sich schon, das Grundstück zu betreten, sodass der Briefkasten jetzt außen am Zaun angebracht ist, und selbst die arme Frau Donath musste die ersten Tage von Oma Emmi am Gartenzaun abgeholt werden. Seither herrscht ständig helle Aufregung. Selbst ich musste bei meinem ersten Besuch von Emmi ins Haus geleitet werden. Nachdem Oma Emmi schon Lexi nicht erziehen konnte, hat sie Dachsi natürlich überhaupt nicht mehr im Griff. Das Tier tanzt ihr auf der Nase herum und hat das Regiment bald übernommen. Für Oma Emmis Sicherheit ist es natürlich gut, dass sie von einem mannscharfen Hund bewacht wird. Jetzt könnte sie sogar ihre Gaspistole abschaffen. Ich habe mittlerweile nämlich herausgefunden, dass es sich um keine echte Waffe handelt. Am Tag, an dem ich achtzehn werde, werde ich als Allererstes einen Waffenschein beantragen, so viel steht fest. Allein die Vorstellung, wie ich harmlos in der Weltgeschichte umherschlendere und mir niemand ansieht, dass ich einen Revolver unter der Jacke trage …
Mit Mutter geht es keinen Millimeter vor und keinen zurück. Mal verkriecht sie sich wochenlang auf ihrem Zimmer und spielt Flöte, mal geht sie nach der Arbeit gleich ins Bett. Dann wieder benimmt sie sich ganz aufgedreht, isst mit großem Appetit und bleibt die halbe Nacht wach. Angeblich, weil sie so viele Dinge nachholen muss und gar nicht weiß, wo sie anfangen soll. Manchmal vergisst sie meine Schularbeiten, an anderen Tagen ziehen sich die Kontrollen in unwahrscheinliche Längen. Es ist ihr dann auch egal, ob es zehn oder elf Uhr wird oder sogar noch später. Ich muss regelrecht darum betteln, endlich ins Bett gehen zu dürfen. Nach ziemlich genau einer Woche ist diese Phase immer schlagartig vorbei, und sie sinkt zurück in ihre Versteinerung. Obwohl ich es genau beobachte, bleibt es rätselhaft, wieso und warum das so ist. Ich weiß nur eins: Verlassen kann ich mich auf sie nicht mehr. Den einen Tag bin ich ihr Bundesgenosse, und am nächsten Tag behandelt sie mich, als wäre ich ihr Gefangener. Zum Glück bemüht sich Oma immer, für heitere Stimmung in der Familie zu sorgen. Aber manchmal kommt sie ans Ende ihrer Kräfte. Der tüddelige Opa, die seltsame Tochter, die Sorge um Oma Emmi und die Verwandtschaft aus der Ostzone, und dann noch Frau Marek. Wenigstens ich bereite ihr keinen Kummer. Hoffe ich jedenfalls.
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1974
Waffen Uhrig
Obwohl es erst halb zwölf ist, fallen mir schon wieder dauernd die Augen zu. Heute muss ich unbedingt wach bleiben, sonst können wir’s wohl endgültig vergessen. Es ist bereits die dritte Nacht in Folge, dass ich vor Mitternacht wegdämmere.
Um halb zwei bin ich wieder mit Martin vor seinem Haus verabredet. Gestern hat er behauptet, er hätte in der Nacht davor auf mich gewartet, aber hinterher kann er viel erzählen, wahrscheinlich ist er genauso weggeknackt wie ich. Ich weiß gar nicht mehr, wer als Erster auf die Idee gekommen ist. Seit Monaten brüten wir vor uns hin und haben alles schon tausendmal durchgespielt: Wir schlagen mit dem Hammer die Scheibe ein, greifen uns so viele Pistolen, wie wir tragen können, und flüchten Richtung Stadtpark. Einziges Risiko: Das Polizeirevier Nöldekestraße ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Aber bis dort der Alarm angeht und die Polypen in ihre Eierscheesen gestiegen sind, sind wir längst über alle Berge. Martin meinte, das Schaufenster ist
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