Junger, Sebastian
dabei
Soldaten umbringen, und deswegen werden hier oben immer noch tote Soldaten
liegen bleiben. Man könnte diese Leichen nicht bergen, wenn man bombardiert
wird. Wenn sie uns also total überrennen würden? Das wäre ein übler Tag - definitiv.«
So sah
Jones die Sache. Nachts legte ich Weste und Helm zu meinen Füßen und sorgte
dafür, dass meine Stiefel nur locker gebunden waren, sodass ich hineinsteigen
konnte, ohne über die Senkel zu stolpern. Davon aufzuwachen, dass sie »Ranch
House« mit uns spielten, war das Allerschlimmste, was ich mir vorstellen
konnte, und indem ich meine Sachen so ordnete, dass ich in dreißig Sekunden zur
Tür raus sein konnte, begegnete ich meinen Ängsten. So besonders gut klappte
das jedoch nicht. Ich lag nachts wach, geplagt von der erstaunlichen
Vorstellung, dass sich jeden Moment alles ändern konnte - ja, in der Tat zu
Ende sein konnte. Und selbst nachdem ich eingeschlafen war, setzten sich diese
Gedanken als Träume fort, als ausgewachsene Kampfszenen, von denen ich
gebeutelt wurde wie von einem schlechten Actionfilm. In diesen Träumen war der
Feind unerbittlich und überall gleichzeitig, und ich hatte keine Chance.
Als
Zivilist unter Soldaten wusste ich sehr wohl, dass ich die anderen Männer
Gefahren aussetzte, wenn mir die Nerven versagten, und diese Mutmaßung war fast
so erdrückend wie die äußerst realen Gefahren dort oben. Das Problem mit der
Furcht besteht darin, dass sie nicht nur in einer einzigen Form daherkommt.
Furcht kann in vielen verschiedenen Formen auftreten - Beklommenheit, Grausen,
Panik, Vorahnung -, und es ist durchaus möglich, für eine dieser Ausprägungen
gewappnet zu sein, aber angesichts einer anderen völlig die Fassung zu
verlieren. Vor den Feuergefechten wurden alle ein wenig nervös und blickten
mit dem leicht amüsierten Lächeln um sich, das zu sagen schien: »Das ist also
unser Job - verrückt, oder?« Diese Situationen beunruhigten mich eigentlich
nie, denn ich vertraute den Männern um mich und konzentrierte mich gewöhnlich
nur darauf, Deckung zu finden und die Videokamera in Bereitschaft zu haben. Die
Kampfhandlungen selbst liefen schemenhaft und flüchtig ab; wenn ich mich auch
nur an die Hälfte dessen erinnerte, was geschehen war, hatte ich Glück. (Ich
habe mir hinterher immer die Videoaufnahmen angesehen und war erstaunt, wie
viel mir entging.) Schreckerstarrt reagierte ich nur ein einziges Mal, als wir
unerwartet und heftig angegriffen wurden. Ich hatte weder meine ballistische
Weste noch meine Kamera in der Nähe - wie dumm - und durchlebte dreißig
Sekunden paralysierter Fassungslosigkeit, bis Tim im Kugelhagel hinzusprang, um
unsere Ausrüstung zu packen und hinter einen Hesco zu ziehen.
Die
Kampfsituationen brachten so heftige Adrenalinstöße mit sich, dass Angst nur
selten zum Thema wurde; kennzeichnend für echten Mut war dagegen, wie man sich
vor den wirklichen großen Operationen fühlte, wenn die Aussicht, eventuell
nicht mit dem Leben davonzukommen, tatsächlich verinnerlicht wurde. Meine
persönliche Schwäche bestand nicht so sehr in der Furcht selbst, sondern in deren
Erwartung. Wenn ich Illusionen hegte, was meinen persönlichen Mut betraf, so
lösten sie sich in den Tagen oder Stunden vor einem großen Ereignis in
Wohlgefallen auf, und das Grauen sättigte mein Blut wie ein Toxin, bis ich mich
zu apathisch fühlte, um auch nur meine Stiefel ordentlich zu schnüren. Soweit
ich einschätzen konnte, bekam es jeder da oben von Zeit zu Zeit einmal mit der
Angst zu tun, und dem haftete auch kein Stigma an, solange man nicht zuließ,
dass sie auf andere übergriff, und Journalisten bildeten keine Ausnahme. Völlig
entnervt war ich einmal, als der 2 nd Platoon als schnelle
Eingreiftruppe für die Firebase Vegas, die mit einem Angriff rechnete, in
Bereitschaft stand. Es war mein letzter Aufenthalt, in wenigen Tagen sollte
ich das Korengal für immer verlassen, und jetzt bestand die Möglichkeit, dass
uns ein Chinook in wenigen Stunden mitten in ein massives Feuergefecht am Abas
Ghar absetzte. Ich machte meine Ausrüstung bereit für das bevorstehende
Erlebnis - extra Wasser, extra Batterien, die seitlichen Platten aus meiner
Weste entfernen, um Gewicht zu sparen -, aber ich schätze, meinem Gesicht war
die Beklommenheit besser abzulesen, als ich vermutet hätte. »Ist okay, Angst zu
haben«, sagte Moreno so laut zu mir, dass alle andere es ebenfalls hörten. »Du
darfst sie nur nicht zeigen ...«
Es gibt
verschiedene
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