Junger, Sebastian
Mund trocken, aber noch nicht schlimm.« Am College hatten wir
diese Kalibrierungen gelernt, und ich hatte sie nie vergessen. (Mein eigener
desolater Zustand machte mir nichts aus, solange es einem Soldaten noch
schlechter ging; ich wollte nur nicht derjenige sein, der die anderen
aufhielt.) Ich bin nie eine Patrouille gegangen, die qualvoller war als ein
auch nur mäßig anstrengender Wettlauf am College, und ich bin nie ein Rennen
gelaufen, das auch nur annähernd vergleichbar wäre mit den banalsten Aufgaben
hundert Meter außerhalb des Drahts.
Wenn ein
Soldat seiner Erschöpfung oder Angst nachgab, brachte er seinen Platoon in die
Bredouille, aber auch ein Reporter konnte Mist bauen. Bei einer Nachtoperation
am Abas Ghar brach sich Tim den Knöchel, aber der Sanitäter sagte ihm, es sei
nur verstaucht, damit Tim mental gerüstet war, trotzdem zu gehen. Und das tat
er auch. Es gab keine andere Möglichkeit, ihn dort herauszuschaffen, und wenn
der Platoon noch bei Morgengrauen auf dem Berg war, würde er vom Feind ausradiert.
Er ging also die ganze Nacht mit einem gebrochenen Wadenbein und hatte nur
Motrin als Schmerzmittel eingenommen, aber keiner sagte ihm, dass sein Bein
gebrochen war, bevor er im KOP ankam. Man pflanzte eine Stahlplatte in sein
Bein, nahm ein paar Schrauben zu Hilfe, und nach wenigen Monaten war Tim wieder
im Geschäft.
Einige
Jahre zuvor hatte ich in Zabul den Battalion Commander gefragt, wie diskret
ich sein müsse, wenn ich mit meinem Satellitentelefon nach Hause telefonierte,
und er sagte nur: »Große-Jungs-Regeln, und ich hoffe, ich muss nicht erklären,
was das bedeutet.« Tim spielte dort oben nach den Regeln für die großen Jungs,
was im Kern bedeutete, dass man seine eigenen Interessen denen der Gruppe
unterordnet, ganz gleich, was es einen kostet.
»Es gibt
Männer im Platoon, die einander echt hassen«, sagte mir
O'Byrne eines Morgens. Wir saßen oberhalb des Dorfes Bandeleek in einem
Hinterhalt und hörten die Mörsergranaten über unsere Köpfe jaulen. Es gab
nicht viel mehr zu tun, als immer mal zuammenzuzucken und über den Platoon zu
reden. »Aber sie würden auch füreinander sterben. Also muss man sich doch wohl
fragen: >Wie sehr könnte ich den Typen wirklich hassen?<«
Am
Spätvormittag kommt eine Squad von Scouts über den Drahtverhau, so schweißtriefend,
dass ihnen die Tropfen von den Nasenspitzen fallen und die Uniformen am Leib
kleben. Der 2 nd Platoon hat den ganzen Morgen am Felshang gehackt,
und die Männer lassen ihre Schaufel und Spitzhacken ruhen, um die Ankömmlinge
zu begrüßen. Guttie wurde gestern Abend ohne Zwischenfall mit dem MEDEVAC
abtransportiert. Den ganzen Morgen ist es schon ruhig, was vielleicht nur bedeutet,
dass dem Feind die Munition ausgegangen ist. Die Scouts haben eine andere
Ausstrahlung als die regulären Frontsoldaten, sind hagerer und ruhiger.
Außerdem scheinen sie weniger Ausrüstung bei sich zu haben. Ihr Job besteht
darin, jenseits des Terrains der Frontsoldaten zu patrouillieren und zu
melden, was sie entdeckt haben. Manchmal verharren sie tagelang an einer
Stelle und beobachten nur. Es ist nicht vorgesehen, dass sie in Gefechte
verstrickt werden, und wenn sie sich doch beteiligen, geht es oft nur um einen
einzigen Schuss aus dem Scharfschützengewehr.
Der Squad
Leader ist ein kleiner, kräftig aussehender Mann mit dunklen Augen und
pechschwarzem Haar. Er heißt Larry Rougle. Rougle hat sechs Fronteinsätze in
sechs Jahren hinter sich und ist in der Battle Company legendär als beinharter
Typ und Inkarnation eines Soldaten. Als Phoenix einmal angegriffen wurde,
schnappten sich Rougle und seine Männer im KOP ihre Waffen und rannten so
schnell nach unten, dass Piosa immer noch am Funkgerät war, um den Angriff zu
melden, als sie hinter den Drahtverhau marschiert kamen. Nicht mal in einem
Humvee hätte man so schnell eintreffen können. Rougle redet im Bunker mit
Piosa, und seine Männer setzen die Wasserflaschen an den Hals. Eine halbe
Stunde später sammeln sie sich wieder, und Tim und ich greifen sich unsere
Backpacks und folgen ihnen nach draußen vor den Draht. Wir folgen den Umrissen
der Schlucht, bis wir OP 1 erreichen, der sich im Vorgebirge westlich des KOP
befindet. Er ist jeweils nur von vier Leuten gleichzeitig bemannt und so gut
wie unmöglich anzugreifen, und daher haben die Männer dort oben kaum mehr zu
tun, als die Fliegen wegzuscheuchen und zu überlegen, wie viele Monate sie noch
Dienst schieben müssen.
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