Junger, Sebastian
die sie im Tal ablösen sollten, auf Patrouille. 10 th Mountain hatte mehrere Monate zuvor mit der Rotation zurück in die USA
begonnen, aber Armeekommandeure hatten es sich anders überlegt und beschlossen,
die Dienstzeit zu verlängern. Männer, die nach einem Jahr Kampfeinsatz
heimgekehrt waren, wurden wieder ins Flugzeug gesetzt und zurück in den Krieg
geflogen. Die Moral sank, und als die Battle Company eintraf, musste sie sich
erzählen lassen, dass manche ihrer Vorgänger absichtlich von Felsen gesprungen
waren, um sich die Beine zu brechen, oder sich einfach geweigert hatten, sich
außerhalb des Drahtverhaus zu begeben. Diese Geschichten waren nicht unbedingt
wahr, aber das Korengal-Tal erwarb sich allmählich den Ruf eines Orts, der den
Geisteszustand eines Mannes auf schaurige Weise unwiderruflich verändern
konnte.
Wie
verwirrt die Männer der 10 th Mountain auch im Kopf gewesen sein
mochten, auf jeden Fall waren sie länger als ein Jahr in den Bergen
umhergeklettert und deswegen unbestreitbar fit. Auf der ersten gemeinsamen
Patrouille führten sie den 2 nd Platoon hinunter an den
Korengal-Fluss und dann hinauf auf die Granitformation Table Rock. Die 10 th Mountain wollten sie absichtlich zermürben - erreichen, dass die neuen Männer
vor Erschöpfung zusammenbrachen -, und auf halber Strecke hinauf zum Table Rock
zeigte sich der erste Erfolg. Der M240-Schütze Vandenberge kam nicht mehr mit,
und O'Byrne, der im selben Gun Team war, tauschte mit ihm die Waffen und hängte
sich sein M240 über die Schulter. Das M240 ist ein Maschinengewehr mit
Gurtzuführung, das fast fünfzehn Kilo wiegt; man könnte ebenso gut einen
Presslufthammer den Berg hinaufschleppen. O'Byrne und der Rest der Männer trugen
weitere fünfundzwanzig Kilo Ausrüstung und Munition auf dem Rücken, und dazu
steckten sie in zehn Kilo Schutzanzug. Fast niemand im Platoon trug weniger
als vierzig Kilo Gepäck bei sich.
Die Männer
quälten sich bergan, ständig im Blick der Taliban-Stellungen auf der anderen
Seite des Tals, und gerieten schließlich unter Feuer, als sie den halben
Anstieg geschafft hatten. O'Byrne war noch nie unter Beschuss gewesen, und
stand erst mal auf, um sich umzuschauen. Jemand schrie ihn an, in Deckung zu
gehen. Es gab nur einen Felsbrocken, hinter dem man sich verstecken konnte.
Den nutzte Vandenberge, und O'Byrne verschanzte sich hinter ihm. »Fuck, ich
fass es nicht, dass die gerade auf mich geschossen haben!«,
rief er.
Vandenberge
war ein riesiger Kerl, der langsam sprach und sehr, sehr gewieft war. »Na ja«,
sagte er. »Ich weiß ja nicht, ob sie auf dich geschossen
haben ...«
»Okay«,
sagte O'Byrne, »auf uns geschossen
...«
Unerfahrene
Soldaten werden cherries genannt, und mitten in einem
Feuergefecht aufzustehen, ist so cherry-mäßig, wie es
schlimmer kaum geht. Wie auch das hier: Während der ersten Nacht im KOP hörte
O'Byrne ein eigentümliches Schwatzen im Wald und schloss daraus, dass ein
Angriff auf die Basis bevorstand. Er griff sich seine Waffe und wartete.
Nichts geschah. Später erfuhr er, dass es sich nur um Affen gehandelt hatte,
die bis an die Umzäunung gekommen waren, um die Amerikaner anzukeifen. Es war,
als ob sämtliche Lebewesen im Tal, selbst die wilden Tiere, die Eindringlinge
verscheuchen wollten.
O'Byrne
war im dörflichen Pennsylvania auf einem Stück Land groß geworden, durch das
ein Bach floss und in dessen Wäldern, die sich über Hunderte von Acres
erstreckten, er und seine Freunde Krieg spielen konnten. Einmal hoben sie einen
Bunker aus, ein andermal spannten sie eine Seilrutsche zwischen den Bäumen. Die
meisten seiner Freunde gingen zur Army. Nachdem O'Byrne vierzehn geworden war,
stritten er und sein Vater immer öfter, und O'Byrne bekam prompt Ärger in der
Schule. Seine Zensuren wurden schlecht, er trank, rauchte Pot und wurde von der
Polizei in Gewahrsam genommen. Sein Vater war Klempner und stets darauf
bedacht, dass die Familie gut versorgt war. Aber es kam immer wieder zu hässlichen
häuslichen Streitereien - häufigen Alkoholexzessen und tätlichen
Auseinandersetzungen -, bis die Dinge eines Abends außer Kontrolle gerieten und
O'Byrnes Vater ihn mit einem Kleinkalibergewehr zweimal anschoss. Im
Krankenbett sagte O'Byrne der Polizei, sein Vater habe in Notwehr geschossen.
So kam er wegen tätlichen Angriffs mit der Einweisung in ein Erziehungsheim
davon und ersparte seinem Vater eine Gefängnisstrafe wegen Mordversuchs.
O'Byrne war gerade erst
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