Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
Vom Netzwerk:
Aufenthalt wurde mir eine Waffe angeboten, und das ging übers
ganze Jahr so weiter. Manchmal war es eine Handgranate »für alle Fälle«. Bei
anderer Gelegenheit war es das Angebot, bei der nächsten Feindberührung an ein
M240 zu springen. (»Wir zeigen dir einfach, wohin du schießen musst.«) Einmal
sagte ich zu Moreno, wenn ich nicht verheiratet wäre, hätte ich die gesamten
fünfzehn Monate da draußen verbracht. Er lachte und sagte, in dem Fall hätten
sie definitiv dafür gesorgt, dass ich eine Waffe trug. Die Vorstellung, längere
Zeitspannen im Korengal zu verbringen, ohne auf irgendetwas zu schießen, ergab
für die Soldaten genauso wenig Sinn wie bei einem Bordellbesuch inVicenza die
gesamte Zeit nur im Empfangsraum rumzuhängen. Waffen waren das Entscheidende,
das einzige wahrhaft Gute im gesamten Scheißjahr, und für die Tatsache, dass
Reporter sie nicht trugen, nicht mit ihnen schossen oder die höchst großzügigen
Angebote, »sich ein bisschen am .50 cal auszutoben«, nicht annahmen, hatten die
Soldaten nur Kopfschütteln übrig. Es war schwierig, ihnen zu erklären, dass man
zwar jemandem während eines Feuergefechts eine Schachtel Munition reichen oder
mal mit einer SAW hundert Schuss auf dem Schießstand abgeben könnte, aber als
Journalist definitiv keine Waffe tragen durfte. Dadurch wurde man zum
Kombattanten und verlor seinen Status als Beobachter. Und man verlor das
Recht, den Krieg später objektiv zu kommentieren.
    Den
Waffengebrauch zu verweigern hieß noch lange nicht, sich kein Wissen über sie
anzueignen. Eines heißen und langweiligen Frühlingsnachmittags mitten in der
Kampfperiode kam Sergeant Al auf den Gedanken, Tim und ich müssten jede Waffe
auf dem Vorposten laden und mit ihr schießen können. Außerdem müssten wir sie
entladen können, wenn sie Ladehemmung hatten. Wir gingen hinüber zur
afghanischen Hütte und fingen mit einem AK-47 an. Es war leicht und fühlte sich
billig an, als sei es aus Blech, und Al sagte, es habe keinen gedämpften
Rückstoß, sodass die gesamte Energie des Geschosses beim Feuern auf die
Schulter wirke. Das macht es nach dem ersten Schuss eines Feuerstoßes höchst
unpräzise, aber mechanisch ist es so simpel, dass es so gut wie keine Wartung
braucht. Auch wenn man es unter einem Felsen versteckte und sechs Monate liegen
ließ, würde es immer noch schießen.
    Das M4
feuert viel kleinere Geschosse, und das bedeutet, dass man beim selben Gewicht
mehr Munition bei sich tragen kann. Aber das Gewehr ist über große Entfernungen
nicht zielgenau und neigt zur Ladehemmung. Ich habe mehrere Male in
Feuergefechten miterlebt, dass der Mann neben mir zu fluchen anfing und
verzweifelt versuchte, den Verschluss zu öffnen und die Waffe wieder
funktionsfähig zu machen. Die SAW war die kleinste Waffe mit Gurtzuführung in
Restrepo und war so einfach konstruiert, dass ein Affe sie hätte bedienen
können. Man klappt den Deckel der Gurtzuführung auf, legt den Munitionsgurt in
den Verschluss, klappt den Deckel wieder zu und lädt mit dem Verschlusshebel
durch. Jetzt kann es losgehen: neunhundert Geschosse in der Minute. Das M240 ist
fast identisch, aber größer und langsamer, und das .50 cal ist noch größer, mit
einem Lauf, in den man einen Daumen stecken kann, und Geschossen groß wie
Eisenbahnnägel. Mit dem .50 cal konnte man so gut wie alles im Tal treffen, das
man auch sehen konnte. Während des Vietnamkrieges soll ein Schütze ein
Zielfernrohr an seinem .50 cal angebracht haben und mit einem einzigen Schuss
einen Boten in zwei Meilen Entfernung vom Fahrrad geschossen haben. Es handelt
sich um eine so perfekte Waffe, dass ihre Konstruktion und äußere Form seit dem
Ersten Weltkrieg kaum erwähnenswert verändert worden sind.
    Für den
Reporter war es schwierig, sich psychisch mit den Waffen zu arrangieren und
sich von ihnen abzugrenzen, denn sie waren überall - man konnte sich auf keine
Koje setzen, ohne nicht ein M4 oder ein paar Handgranaten beiseite zu räumen
-, und ihre Existenz wirkte im Laufe der Zeit immer zwingender. In ihrer
gewichtigen Perfektion waren sie unmöglich zu ignorieren. Eigentlich wollte man sie am liebsten irgendwie benutzen, aber das war derart
streng verboten, dass man eine Weile brauchte, sich auch nur einzugestehen, mit
dem Gedanken gespielt zu haben. Danach erwischte man sich bei der Überlegung,
in welchen Situationen es erlaubt sein könnte, ohne dass die naheliegenden
ethischen Probleme auftauchten. Die einzige Situation,

Weitere Kostenlose Bücher