Junger, Sebastian
kommt?«
Laut Al
fand der Geistliche darauf keine hilfreiche Antwort.
Religion
verleiht einem Menschen ausreichend Mut, sich dem Überwältigenden zu stellen,
und es mag deswegen so wenig Religion in Restrepo gegeben haben, weil die
Männer sich nicht sonderlich überwältigt fühlten. (Warum sich an Gott wenden,
wenn man die Apaches rufen kann?) Man holt nicht seinen Koch dort hinauf, damit
er sein erstes Feuergefecht erleben kann, wenn man nicht ziemlich überzeugt
davon ist, dass es gut ausgehen wird. Aber selbst in den Anfangstagen, als die
Dinge definitiv nicht gut ausgingen, dürfte die beinahe
narkotische Wirkung, die von einer so fest zusammengeschweißten Gruppe
ausging, die Hinwendung zum Glauben überflüssig gemacht haben. Der Platoon war der
Glaube, die hehre Sache, die alle Ängste vertrieb, wenn man sich ausschließlich
auf sie konzentrierte. Sie war ein Anästhetikum, das bewusst erleben ließ, was
in der Umgebung geschah, aber doch sonderbar fatalistisch machte, was das
Ergebnis betraf. Als Soldat fürchtete man nichts mehr, als die Brüder im Stich
zu lassen, wenn sie einen brauchten, und damit verglichen war das Sterben
leicht. Das Sterben ging vorüber. Feigheit blieb für immer.
Heldentum
bei Soldaten ist nur schwer zu untersuchen, weil sie ausnahmslos behaupten, sie
hätten nur gehandelt, wie jeder gute Soldat es getan hätte. Unter anderem
bedeutet Heldentum eine Negation des eigenen Selbst - man ist bereit, das
eigene Leben zu verlieren, um andere zu retten -, sodass in dieser Hinsicht ein
Gespräch darüber, wie mutig sich jemand verhalten hatte, psychologisch
widersprüchlich wäre. (Man versuche, einer Mutter zu sagen, es sei mutig von
ihr gewesen, in den Verkehr zu laufen, um ihr Kind zu retten.) Zivilisten gehen
davon aus, dass Soldaten eine Art Grundpflicht erfüllen müssen und alles, was
darüber hinausgeht, als »Tapferkeit« anzusehen ist. Soldaten sehen es andersherum:
Entweder tust du deine Pflicht oder du bist ein Feigling. Anders geht es nicht.
1908 starben fünf Feuerwehrmänner bei einem Großbrand in New York City. Bei
ihrem Begräbnis sagte Chief Ed Crocker über ihren Mut: »Feuerwehrmänner lassen
ihr Leben. Wenn sie zur Feuerwehr gehen, stellen sie sich dieser Tatsache.
Feuerwehrmann zu werden ist bereits die tapferste Tat, die ein Mann
vollbringen kann. Was er danach tut, geschieht im Rahmen seiner Arbeit.«
Man
braucht kein Soldat zu sein, um den eigentümlichen Trost nachzuempfinden, der
dieser Haltung entspringt. Tapferkeit zu beweisen ist ein schwieriges
Unterfangen, aber »Arbeit« ist profan und durchaus machbar, ein kollektiver
Prozess, in dem jeder sein persönliches Risiko eingeht. Meine Arbeit war der Journalismus,
nicht der Krieg, aber es galten dieselben Prinzipien. Ich achtete ständig auf
den Grad meiner Angstgefühle, denn ich wollte nicht im falschen Moment vor
Panik gelähmt sein und zum Problem werden. Aber das geschah nicht, und nach
einigen Aufenthalten stellte ich fest, dass meine Angst wich. Ich hatte nicht
etwa weniger Furcht vor dem Tod; es war nur so, dass das Sterben im Kontext
einer Gruppenunternehmung, zu deren Teil ich allmählich wurde, etwas mehr Sinn
ergab. In der Regel war ich weitaus ängstlicher, wenn ich nachts in meiner Koje
lag, als auf einem Berghang, wenn ich mir Sorgen um uns alle machte.
Weil ich
keine Waffe trug, wurde ich stets außerhalb des Platoons platziert, aber das
bedeutete nicht, dass ich von dessen Anziehungskraft unbeeinflusst blieb. Der
Gruppe wohnte so große Kraft und Logik inne, dass jeder, ich nicht ausgenommen,
seine persönlichen Anliegen davon übertrumpft sah. Und irgendwo im Verlust des
Selbst fand sich auch Erlösung von den schrecklichen Sorgen darüber, was
geschehen könnte. Wenn die Dinge sich übel genug entwickeln würden - und es gab
keinen Grund zur Annahme, das könne nicht geschehen -, lag es auf der Hand,
dass der Unterschied zwischen Journalist und Soldat bedeutungslos würde. Ein
Szenario, in dem ich Kerlix in eine Wunde pressen oder dabei helfen würde,
jemanden aus der Gefahrenzone in Sicherheit zu ziehen, war absolut plausibel
und zwang mich zu denken, wie normalerweise nur Soldaten denken müssen. Als
die Chosen bei Aranas angegriffen wurde, erlitten sie innerhalb nur weniger
Minuten schwerste Verluste, und das Feuergefecht dauerte dennoch weitere drei
Stunden an. Die Vorstellung, dass ich in dieser Situation nicht helfen - oder
kämpfen - würde, war absurd.
Bereits
bei meinem ersten
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