Jungs sind keine Hamster
„Wow, ich mag das Poster deiner Lieblingsboyband.“
Er meint: „Wenn du deren CD auflegst, hau ich ab.“
Marvin lächelte mich an und ließ sich auf mein Bett plumpsen. Dann fummelte er noch meine Klamotten von gestern, vorgestern, vorvorgestern und vorvorvorgestern unter seinem Hintern hervor und warf sie ans Fußende.
„Echt spitze. Meine Eltern würden es mir nie erlauben, mein Zimmer so zu streichen.“
„Gejubelt haben meine auch nicht gerade.“
Er zog seine Jacke aus und kramte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Er hielt sie fragend in meine Richtung.
„Darf ich?“
„Ist okay, aber bitte am Fenster, meine Mutter darf das nicht mitkriegen.“
„Alles klar.“
Marvin stand auf und ging zum Fenster. Er öffnete es und steckte sich eine Zigarette an. Ich sah sofort, dass er eine Show abzog und eigentlich gar nicht richtig rauchte. Er hielt die Zigarette so komisch ungelenk und verzog das Gesicht, als er den Rauch einatmete. Als würde er würgen müssen. Wie kam er denn auf die bescheuerte Idee, dass mich das beeindrucken würde?
„Willst du auch eine?“, fragte er mich.
„Seh ich so aus, als würde ich mich hassen?“
Marvin schaute verdutzt und musterte mich von oben bis unten. Lange dauert das naturgemäß nicht. Ich sagte ja schon, dass ich ein Zwerg bin.
Dann grinste er, schloss die Schachtel und steckte sie weg. Er zog wieder an seiner Zigarette, atmete den Rauch ein und tat so, als würde er das genießen. Da stand er nun, mitten in meinem Zimmer – mein wahrscheinlich erster Freund –, und tat so, als wäre er cool. Was aber reines Gepose war. Trotzdem fand ich das süß, weil ich mir sicher war, dass er sich das vorher so überlegt hatte, um Eindruck bei mir zu schinden. Marvin versuchte, mit dem Rauch Kringel in den Raum zu pusten. Es misslang. Dicke Rauchbatzen eierten Richtung Decke und das ärgerte ihn gründlich. Ich lächelte.
Gerade als Marvin wieder mit großer Geste einen tiefen Zug Rauch inhaliert hatte, flog meine Tür auf und Mutter stand im Zimmer.
Marvin schnippte die Zigarette geistesgegenwärtig aus dem Fenster. Nur den Rauch aus seiner Lunge bekam er nicht rechtzeitig raus. Er hielt die Luft an.
„Wollt ihr Kekse oder was zu trinken?“, fragte meine Mutter fröhlich und sah Marvin aufmerksam an. Der war mittlerweile rot angelaufen. Lange würde er nicht mehr die Luft anhalten können. Marvin schüttelte hektisch den Kopf.
„Nein, danke, Mama. Wir kommen klar. Und wären jetzt gerne alleine“, sagte ich hastig.
„Na dann geh ich mal lieber, was?“, sagte sie und tat das Unglaubliche: Sie kniff Marvin in die Wange! Der grinste immer panischer. Dann rauschte sie endlich aus dem Zimmer und schloss die Tür.
Marvin ließ sich keuchend und hustend neben mich auf das Bett fallen, stöhnte vor Schmerz kurz auf und holte meinen Fotoapparat unter seinem Rücken hervor.
„Geht es?“, fragte ich Marvin. „Oder soll ich dir was zu trinken holen?“
„Alles okay“, schnaufte er und legte sich lang mit hinter dem Kopf verschränkten Armen hin. Sein Ellenbogen berührte meinen Kopf. Nur ganz leicht, geradezu zart, aber trotzdem war diese Berührung ganz intensiv. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, und genoss die Wärme, die er ausstrahlte. Außerdem roch er gut, wenn auch ein klein bisschen zu heftig. Ich schnupperte vorsichtig an ihm, was er bemerkte und prima fand.
„Du riechst gut“, sagte ich. Marvin grinste von einem Ohr zum anderen. Ich rutschte etwas näher an ihn ran.
Dann flog die Tür ein zweites Mal auf und meine Mutter stand wieder im Zimmer.
„Kakao und Kekse für das Liebespaar!“
Sofort schossen wir auseinander. Marvin drehte sich weg und ich setzte mich auf.
„Mama! Lass das!“, fauchte ich, aber sie ließ sich nicht beirren und balancierte ein großes Tablett Richtung Schreibtisch. Mit dampfendem Kakao und selbst gebackenen Keksen drauf. Vollkorndinkel ohne Zucker. In anderen Ländern werden diese steinharten, ungesüßten Dinger als Folterwerkzeuge verkauft.
Das konnte echt nicht wahr sein! Liebespaar?! Blödsinn! Und dann auch noch Kakao und Kekse? War ich fünf? Wollte ich eben nur im Boden versinken, war es nun meine feste Absicht, nicht nur im Boden zu versinken, sondern mich gleich mittendurch zu wühlen. Bis zur anderen Seite der Erdkugel. China oder so. Da würde ich dann wieder auftauchen und unerkannt und so weit weg wie möglich von zu Hause ein neues Leben beginnen.
„Ich stell’s nur schnell ab und
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