Jungs sind wie Kaugummi - süß und leicht um den Finger zu wickeln (German Edition)
dort angetapst kam, und nicht etwa ein Axtmörder, wie ich angesichts der Faktenlage sofort vermutet hätte. Aber sie freute sich ungefähr so sehr über den Besuch des Grafen wie ich über den eines Axtmörders. Doch gleich nachdem der Mann sich zu der zitternden Rosanna gelegt hatte, bedeckte er sie wortlos mit leidenschaftlichen Küssen. Ich als clevere Leserin wusste natürlich sofort, dass es sich hier nicht um den Grafen handelte, sondern um den netten Bruder, aber Rosanna wunderte sich, wie toll der fiese Graf küssen konnte und wie leidenschaftlich ihre Gefühle plötzlich für ihn waren. Jetzt aber – ich fing schon vor Spannung an, an den Nägeln zu kauen – wurde es leider mehr rätselhaft als aufschlussreich: Rosanna wurde nämlich hineingerissen in den Strudel des Eros und die Küsse des vermeintlichen Ehemannes wurden immer leidenschaftlicher. Auch seine Hand versetzte ihren Körper in fiebrige Erregung . Plötzlich aber, gerade als er ihr bebendes Geheimnis zwischen den seidenweichen Schenkeln erforscht , hält er irritiert inne, und jetzt kommt das Allerallerrätselhafteste: Rosanna flüstert verschämt: »Das Gänsefett, es steht auf dem Nachttisch. Man sagt, es gehe damit leichter.«
Tja. Gänsefett. Davon hatte in der Bravo nichts gestanden. Und auch »Schloss Gilmore« ließ diese Frage offen. Denn jetzt wurde es erst richtig mysteriös. Der falsche Ehemann bedeckte Rosannas süße Unschuld (???) mit seinen heißen Küssen , und ein Lustschauder nach dem anderen (???) überlief sie in atemloser Folge , sie krallte ihre Fingernägel in den Rücken des Mannes , bis sie sich in ohnmächtiger Ekstase (??????) an den ewigen Gestaden der Liebenden wiederfand, dem Manne für immer verfallen (???????????). Nun, das war eine Passage, die sich wohl ausschließlich an Eingeweihte richtete. Immerhin, die Sache mit dem Gänsefett konnte man sich ja mal merken.
Ich klappte das Buch zu. All meine Versuche, die Mysterien der körperlichen Liebe auf theoretischem Weg zu erforschen, waren gescheitert. Es war genau, wie Jakob gesagt hatte: »Das kann man nicht beschreiben, das muss man ausprobieren.« Oder um mit Oma Herta zu sprechen: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«
Ich brauchte also dringend jemanden, der mir Zungenküsse beibrachte. Und das mit den Signalen, die ich Konstantin senden musste, damit er merkte, dass ich eigentlich eine erfahrene Frau war. Hm. Das war nun wirklich nicht so einfach. Wo sollte ich so einen Versuchskandidaten denn auf die Schnelle auftreiben? Es war recht unwahrscheinlich, dass mir Anna Jörg-Thomas ausleihen würde. Andererseits: Fragen konnte nicht schaden.
Die Lektüre über das Gänsefett hatte mich zu einer zweiten Strophe für meinen Song inspiriert, zu einer besonders guten:
Ich werd mich in dich krallen
und dir komplett verfallen.
Ich werd mein Herz verlieren
samt Leber, Lunge, Nieren!
Und dann wieder der Refrain:
Aller Anfang ist ganz leicht. Der eine Blick hat schon gereicht, doch alles Weit’re ist echt schwer, dabei lieb ich dich so sehr.
Ich kuschelte mich zufrieden unter meine Decke. Vielleicht hatte ich ja keine Ahnung von Zungenküssen, Gänsefett und all dem anderen Kram, aber ich hatte echtes musikalisches Talent. Ich hatte es nicht nötig, anderen Leuten den Song zu klauen und ihn dann als meinen auszugeben.
Bei dem ganzen Stress hatte ich völlig vergessen, Hausaufgaben zu machen, aber glücklicherweise hielt mir Jakob am Morgen einen Platz im Bus frei, wo ich in aller Ruhe von ihm abschreiben konnte.
»Wo warst du denn gestern?«, fragte Jakob.
»Ach, da haben mich ein paar Fünftklässler geärgert«, sagte ich. »Und ich musste was nachlesen.«
»In der Bravo ?«
Oh Mist, Jakob hatte wirklich scharfe Augen. »Ja«, sagte ich und wurde leider rot.
»Und wo ist deine blaue Federkappe?«, fragte Jakob.
Themenwechsel leicht gemacht, Gott sei Dank. Ich zeigte auf meinen Rucksack. »Da drin. Die kriegt Kati heute, weil sie lila Haare hat. Aber das darfst du keinem Menschen verraten.«
»Ehrensache«, sagte Jakob.
»Ihre Stirn ist auch lila«, sagte ich. »Obwohl ihre Mutter sie mit Meersalz abgeschrubbt hat.« Ich klappte das Heft zu. Mathe war erledigt, jedenfalls hatte ich die Ergebnisse alle abgeschrieben, für die Zeichnungen war die Busfahrt zu rumpelig. Aber wenn ich Glück hatte, würde das nicht weiter auffallen, es sei denn, Gürteltier ging in der Klasse herum. Blieben noch Erdkunde und Französisch. Der Bus hielt bereits an
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