Jurassic Park
horchte. Ein Mann rief. Es klang wie Gennaro. »Wo sind Sie?« rief Grant.
»Hier drüben«, erwiderte Gennaro. »Im Lastwagen.«
Grant sah nirgends einen Lastwagen. Er blinzelte und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er mehrere huschende, grün schimmernde Gestalten. Dann entdeckte er den Lastwagen und ging darauf zu.
Die Stille machte Tim Angst.
Der Velociraptor war knapp zwei Meter groß und von kräftigem Körperbau. Die stämmigen Beine und der Schwanz waren allerdings von den Tischen verdeckt, und Tim sah nur den muskulösen Oberkörper und die an die Brust gedrückten Vorderläufe mit den baumelnden Klauen. Die gesprenkelte Haut auf dem Rücken schillerte. Der Velociraptor bewegte sich sehr wachsam und sah sich ständig mit ruckenden, vogelartigen Bewegungen seines Kopfes nach allen Seiten um. Außerdem wippte der Kopf im Rhythmus mit dem Schwanz auf und ab, was den Eindruck eines Vogels noch verstärkte. Ein riesiger, stiller Raubvogel.
Der Speisesaal war dunkel, aber offensichtlich sah der Raptor genug, um nicht an die Tische zu stoßen. Er kam immer näher. Manchmal bückte er sich, und der Kopf verschwand unter den Tischen. Tim hörte ein schnell schnupperndes Geräusch. Dann fuhr der Kopf ruckartig wieder hoch, erneut auf und ab wippend, wie der eines Vogels.
Tim beobachtete ihn, bis er sicher war, daß der Velociraptor auf die Küche zukam. Folgte er dem Geruch der Kinder? In den Büchern hieß es, die Dinosaurier hätten einen nur schwach entwickelten Geruchssinn gehabt, aber der hier schien mit dem seinen ausgezeichnet zurechtzukommen. Außerdem, was wußten schon Bücher? Das war ein lebendiges Exemplar. Und es kam direkt auf ihn zu.
Tim zog den Kopf ein und schlich in die Küche zurück. »Ist da was?« fragte Lex.
Tim antwortete nicht. Er schob sie unter einen Tisch in der Ecke,
hinter einen großen Abfalleimer, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte eindringlich: »Bleib da!« Dann lief er auf den Kühlraum zu.
Er packte ein paar gekühlte Steaks und lief damit zur Tür. Leise legte er das erste Stück auf den Boden, ging dann ein Stück zurück und legte das zweite hin...
Durch seine Nachtsichtbrille sah er Lex hinter dem Abfalleimer hervorspähen und winkte sie zurück. Er legte das dritte Steak aus, das vierte, und bewegte sich so langsam tiefer in die Küche hinein. Das Zischen wurde lauter, dann faßten die Klauen nach der Tür, und der große Kopf spähte vorsichtig herein. Der Velociraptor blieb an der Tür stehen.
Tim stand halb geduckt hinter dem stählernen Arbeitstisch. Aber er hatte nicht die Zeit gehabt, sich zu verstecken, Kopf und Schulter sahen über dem Tisch hervor. Der Velociraptor mußte ihn einfach sehen.
Langsam, sehr langsam duckte sich Tim und sank unter den Tisch... Der Velociraptor riß den Kopf herum und sah direkt in seine Richtung.
Tim erstarrte. Er war noch immer nicht ganz versteckt, aber er dachte nur: Nicht bewegen, bloß nicht bewegen.
Der Velociraptor stand regungslos an der Tür.
Und schnupperte.
Es ist hier noch dunkler, dachte Tim. Er sieht nicht mehr so gut. Aber jetzt konnte Tim den modrigen Geruch des großen Reptils riechen, und durch seine Brille sah Tim, daß der Dinosaurier leise gähnte, dabei seine lange Schnauze zurückwarf und Reihen rasiermesserscharfer Zähne entblößte. Dann sah er sich mit ruckartigen Bewegungen seines Kopfes weiter in der dunklen Küche um. Die großen Augen huschten in den knochigen Höhlen hin und her. Tim spürte, wie sein Herz hämmerte. Irgendwie war es schlimmer, einem solchen Tier in einer Küche gegenüberzustehen als draußen im Wald. Die Größe, die schnellen Bewegungen, der stechende Geruch, der zischende Atem...
Vielleicht kommt er gar nicht herein, dachte Tim.
Aus der Nähe betrachtet war der Raptor ein viel furchterregenderes Tier als der Tyrannosaurier. Der Tyrannosaurier war groß und kräftig, aber nicht besonders schlau. Der Velociraptor war nur so groß wie ein Mensch, aber schnell und unleugbar intelligent; Tim fürchtete die suchenden Augen fast so wie die scharfen Zähne. Der Velociraptor schnupperte. Er machte einen Schritt vorwärts direkt auf Lex zu. Wahrscheinlich roch er sie! Tims Herz raste. Der Velociraptor blieb stehen und beugte sich langsam vor. Er hatte das Steak gefunden.
Tim wollte sich ducken und unter den Tisch sehen, aber er wagte nicht, sich zu bewegen. Erstarrt kauerte er in seiner halb gebückten Haltung und hörte ein
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