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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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Jussif war in der Tat vorsichtig mit seinen Worten, weil sein Bruder immerhin auch irgendwie verantwortlich für die Familie war. Junis mangelte es nie am Geld, er war freigebig, sowohl Jussif als auch der Familie gegenüber. Er geizte nie, nicht einmal, wenn sie Streit hatten. Manchmal kam er in sein Zimmer und warf Geldscheine in die Luft, die sich flatternd auf dem Boden verteilten. Wenn er wieder draußen war, hob Jussif das Geld widerwillig auf. Einerseits graute ihm davor, Geld von seinem Bruder anzunehmen, andererseits war ihm bewusst, dass er es brauchte. Niemand hatte eine Ahnung, wie Junis an dieses Geld kam, nicht einmal Mariam. In den ersten Jahren fragten die Familienmitglieder noch nach der Art seiner militärischen Tätigkeit, aber sie ließen es bald bleiben. Je länger sie ihm beim Übertreiben seiner »großen Geschäfte« lauschten – einmal erzählte er sogar von einem Geschäft mit dem Erdölministerium, das mit ihm und seinem Teilhaber »al-Hadsch« 2 , einer noch zwielichtigeren Gestalt als er selbst, zusammenarbeite –, desto weniger glaubten sie ihm. Sie warfen ihm zwar nicht vor, ein Lügner zu sein, aber keiner machte sich die Mühe, sich über den Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen oder die Quelle seiner Einkünfte zu erkundigen.
    2 al-Hadsch, jemand, der die Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hat, hier nur ein Spitzname.
    Das war auch umso schwieriger, als Junis’ erste Frau, zehn Jahre älter als er und einfache Krankenschwester im Krankenhaus, sich von einem Lehrer hatte scheiden lassen, der im Gefängnis saß, weil er staatliche Fragen zur Abiturprüfung des Gymnasiums verkauft hatte. Auch als diese Frau später mit al-Hadsch durchbrannte, der wiederum zehn Jahre älter war als sie, und ihn mit den vier gemeinsamen Töchtern sitzen ließ, konnten sie nicht herausfinden, welcher Art seine Tätigkeit war. Sie hatte im Scheidungskrieg alle ihr zu Gebote stehenden Waffen eingesetzt: Alle Erinnerungen und alle um ihn kursierenden Gerüchte hatte sie gegen ihn verwendet.
    Diese Gerüchte kamen Jussif nicht seltsam vor; die meisten kannte er schon seit seiner Jugend. Er hatte jedoch kein Geschehnis zu diesen Gerüchten mit eigenen Augen gesehen oder etwas bestätigt gefunden, obwohl sie beide in dieser Zeit nahezu unzertrennlich waren. Man behauptete, sein Bruder habe als Jugendlicher die Kuwaiter bestohlen, die mit ihren schnittigen Autos auf dem Weg zur Sommerfrische im Libanon an ihnen vorbeifuhren. Er habe die Taschen ihrer Dischdaschas mit einem speziellen Messer aufgeschlitzt und ihnen ihr Geld herausgezogen, das sie bündelweise mit sich herumtrugen, weil sie keine Kreditkarten verwendeten. Obwohl er nicht besonders gut aussah, munkelte man auch, dass er einige von ihnen in bestimmte Hotels begleitet habe. Ihr Verlangen, von Jünglingen genommen zu werden, und ihre Gewohnheit, gewaltige Beträge für die Erfüllung ihrer Wünsche hinzublättern, sei ihm ebenso zu Ohren gekommen wie die Vorliebe einiger alter Weiber nach jungen Kerlen wie ihm. Sobald er mit ihnen das Hammam betreten habe, habe er die Gelegenheit genutzt und den Männern das Geld, den Frauen den Schmuck gestohlen. Als er älter wurde, sagte man ihm nach, er würde zusammen mit einem Regierungsbeauftragten Geldscheine fälschenoder – und hierbei handelt es sich um eine wahrhaft merkwürdige Geschichte – besondere Masken für die Männer im Sicherheits-und Geheimdienst anfertigen, die diese beim Foltern trugen. Man meinte auch, er habe zu jenen Soldaten für Sondereinsätze gehört, die damals mit der irakischen Armee in Kuwait einmarschierten. Viele Geschichten, von denen vielleicht eine, vielleicht alle, vielleicht keine einzige der Wahrheit entsprach. Als Jussif sich endlich traute, seinen Bruder nach seinem Job zu fragen, wurde dieser sehr wütend und begann schreiend, die Umschläge der Bücher zu zerreißen: »Das lernst du also aus deinen Büchern! Dem ›Brudermörder‹, den ›Dämonen‹ und dem ›Fremden‹!«
    Jussif wollte ihm damals sagen, dass dies nicht seine einzigen Bücher seien, sondern dass es noch viele andere gebe: »Der kleine Prinz«, »Südkurier« und »Nachtflug« von Saint-Exupéry, »Krieg und Frieden« von Tolstoi, »Der Ekel«, »Wege der Freiheit« und »Die Mauer« von Jean-Paul Sartre, »So lebt der Mensch« und »Die Hoffnung« von André Malraux, »Bluthochzeit« und »Yerma« von García Lorca, »Wem die Stunde schlägt«, »Paris – ein Fest fürs Leben« und »Der alte

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