Jussifs Gesichter
Mann und das Meer« von Hemingway, »Tortilla Flat« und »Früchte des Zorns« von John Steinbeck, »Die toten Seelen« und »Der Mantel« von Gogol, »Die Dame mit dem Hündchen«, »Drei Schwestern«, »Der Kirschgarten« und »Die Möwe« von Tschechow, »Rot und Schwarz« von Stendhal, »Geschichte zweier Städte« von Charles Dickens, »Die Elenden« und »Der Glöckner von Notre-Dame« von Victor Hugo, »Vater Goriot« von Balzac, »Madame Bovary« und »Salammbô« von Gustave Flaubert, »Im Westen nichts Neues« und »Zeit zu leben und Zeit zu sterben« von Remarque, »Frauen und Männer« von Frank Romain, »Zeit der Mörder« von Henry Miller, »Die Verwandlung« und »Der Prozess« von Franz Kafka und viele, viele andere Bücher, deren Titel er, ohne zu ermüden, hätte aufzählenkönnen. Jussif hatte keine Angst um die verbleibenden Bücher, sondern um die Zeitschriften, die er in seinem Zimmer aufbewahrte. Also ließ er seinen Bruder weiter zerreißen, was ihm in die Hände fiel, bis er genug davon hatte und hinauslief.
Jussif bückte sich und griff unter das Bett. Er zog einen großen Karton hervor, hinter dem ein kleinerer Karton versteckt war. Der große Karton war voll mit Kindercomics: »Superman«, »Batman«, »Spiderman« »Fliegender Teppich« »Lulu«, »Bonanza«, »Abenteurer«, »Samir«, »Mickey Mouse«. Jussif erinnerte sich, dass drei seiner Kameraden aus der Grundschule eines Tages bunte Tücher in die Schule mitgebracht und wie Abbajas umgelegt hatten, nachdem er ihnen zwei-oder dreimal die Zeitschrift »Superman« gezeigt hatte. Sie stiegen aufs Dach und hatten offensichtlich die Absicht, sich fliegend wie »Superman« hinunterzustürzen. Von diesem Tag an war die Lektüre von »Superman« in der Schule untersagt; »Batman« und »Der Mann mit der Maske – Zorro« traten an seine Stelle.
Der zweite Karton, der kleinere, war voller Masken: Dutzende von Masken aus Pappmaché oder Transparentpapier. Er erinnerte sich an die Masken, die sie in ihrer Kindheit getragen hatten und die ihm nach dem Tod des kleinen Mädchens mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt zur Leidenschaft geworden waren. Er hatte damals gemerkt, dass eine Maske das einzige Mittel war, sein Gesicht zu verbergen und den Knaben vergessen zu machen, der dem kleinen Mädchen mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt den Todeskuchen gereicht hatte. Jede Maske, und mochte sie auch noch so einfach sein, genügte, ihn in die Rolle des »Helden mit der Maske« schlüpfen zu lassen, der überall die Bösen bekämpfte. Kinder liebten solche Spiele. Sein eigener Eifer und der seines Bruders – den er erst verstand, als sie älter waren – ermutigte andere Kinder, es ihnen gleichzutun. Oft besorgten sie sich die Masken ihrer Lieblingsfilmschauspielerund -schauspielerinnen, an die sie sich seit ihren seltenen Kinobesuchen an Fest-und Feiertagen erinnerten: Charlie Chaplin, Stan Laurel und Oliver Hardy, Gary Cooper, John Wayne, Ava Gardner, Doris Day, James Stewart, Audrey Hepburn, Humphrey Bogart, Lauren Bacall – die meisten aus Schwarzweißfilmen, nur wenige aus Farbfilmen. Die Marktführer unter den Masken waren »Zorro«, »Herkules«, »Superman« und »Majesty«, wahrscheinlich weil diese Filme am häufigsten gezeigt wurden. Wenn es ihnen an Geld mangelte, versuchten sie, die Masken selber herzustellen und anzumalen, mit eigenen Farbstiften oder mit Kosmetikstiften, die sie ihren Müttern stibitzten. Sein Bruder war am geschicktesten und schnellsten darin; pro Tag schaffte er mindestens zwanzig Masken. Meistens formte er Raubtiere, aber auch Dinosaurier, Wildkatzen, Indianer und Schwarze. Die Masken waren natürlich nicht so schön wie die gekauften, die jetzt vor ihm lagen.
Warum hatte er sie nicht weggeworfen, fragte sich Jussif, während er sie mit der Hand durchwühlte, als suche er nach einer bestimmten. Plötzlich stieß er auf eine Maske, an die er sich sofort erinnerte. Sie war klein, dunkellila und glänzend schwarz bemalt. In der breiten Mundöffnung lag eine lange rote Zunge. Mitten auf der Stirn saß zwischen den beiden Augen ein drittes Auge. Seltsamerweise waren die Augen nicht schwarz, sondern aschefarben, wie bei einem Gepard. Auch die Augenbrauen fielen ihm auf, die sehr dick waren und bis an die Schläfen reichten, und der Schnurrbart, der aussah wie der einer Katze. Etwas erhöht, fast an den Augenbrauen, waren Löcher eingeritzt, durch die ein
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