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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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auszusetzen, und ließ mich erschöpft auf die muffige Couch in der Lobby fallen. Doch als mir gerade die Augen zufallen wollten, bedeutete mir der Portier, ihm zu folgen. Er führte mich die Treppen hoch zu einer Tür, hinter der sich eine kleine, schmale Wendeltreppe befand. Er suchte unter seinen vielen Schlüsseln und öffnete nach einigen Fehlversuchen schließlich triumphierend die Tür zu einer Dachkammer. Abgesehen von einer Kommode mit Schnitzwerk aus Ahornblättern und einer Matratze war der Raum leer. Durch das schräge Dachfenster fiel etwas trübes Licht.
    – Ici?
    – Oui.
    Er überließ mir das Zimmer für wenig Geld und brachte mir für ein paar Francs extra noch eine Kerze und ein paar Decken. Ich breitete die Decken über die klumpige Matratze, auf der sich der Abdruck eines großen, kräftigen Körpers abzuzeichnen schien. Ich machte es mir schnell gemütlich. Die Nacht brach an, und ich arrangierte meine Habseligkeiten rund um die Kerze: das Bild von Jeanne d’Arc, meine Ausgabe der Spleen de Paris, meinen Füller und ein Fässchen Tinte. Doch das Schreiben wollte mir nicht gelingen. Ich konnte mich nur auf das Rosshaar legen und mich in sein historisches Schlafrelief strecken. Das Licht der Kerze schwamm wie ein Fleck im Dunkeln. Ich schlief wie ein Stein, traumlos.
    Bei Tagesanbruch brachte mir der Gentleman eine Tasse heiße Schokolade und eine Brioche. Ich nahm dankbar alles zu mir. Dann packte ich meine Siebensachen, zog mich an und ging zum Gare de l’Est. Auf der Lederbank mir gegenüber im Zug saß eine Gouvernante mit einem kleinen, schlafenden Jungen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete oder wo ich übernachten sollte, aber ich vertraute auf das Schicksal. In der Abenddämmerung erreichte ich Charleville und machte mich auf die Suche nach einem Hotel. Mir war etwas beklommen zumute, so allein mit meinem Köfferchen in der Fremde, ohne eine Menschenseele in der Nähe, aber schließlich fand ich ein Hotel. Zwei Frauen falteten gerade Laken. Mein Erscheinen schien sie zu überraschen, ja, argwöhnisch zu machen, und natürlich sprachen sie kein Englisch. Nach ein paar hilflosen Momenten wurde ich aber doch nach oben in ein hübsches Zimmer geführt. Alles, sogar der Baldachin des Himmelbetts, war mit geblümtem Chintz bezogen. Ich war sehr hungrig und bekam eine kräftige Suppe mit Landbrot.

    Aber dann konnte ich, allein in der Stille meines Zimmers, noch immer nicht schreiben. Ich schlief früh ein und wachte früh wieder auf. Mit frischem Elan warf ich mir meinen Regenmantel über und machte mich auf in die Straßen von Charleville. Zu meiner Bestürzung war das Musée Rimbaud geschlossen, so ging ich durch seltsam stille, mir fremde Straßen, bis ich den Weg zum Friedhof fand. Hinter einem Garten mit großen Kohlköpfen lag die letzte Ruhestätte Rimbauds. Ich stand sehr lange davor und betrachtete den Grabstein. Über seinem Namen waren die Worte Priez pour lui – Betet für ihn – eingemeißelt. Das Grab wirkte vernachlässigt, und ich befreite es von Laub und Abfall. Ich sprach ein kurzes Gebet und legte die blauen Glasperlen aus Harar in eine steinerne Urne, die vor dem Grabstein stand. Nachdem er nicht mehr nach Harar zurückkehren würde, wollte ich doch zumindest etwas aus Harar zu ihm bringen. Ich machte ein Foto und verabschiedete mich.
    Ich ging zurück zum Museum und setzte mich davor auf die Eingangstreppe. Hier hatte Rimbaud gestanden, voller Verachtung für alles, was sich seinem Blick darbot, die alte Steinmühle, der Fluss, der unter einer Kalksteinbrücke rauschte, all das, was ich nun mit der gleichen Inbrunst in mich aufnahm, mit der er es verabscheut hatte. Das Museum war immer noch geschlossen. Mir war etwas kläglich zumute, bis ein alter Mann, ein Hausmeister vielleicht, Erbarmen zeigte und mir die schwere Eingangstür aufschloss. Während er seinen Pflichten nachging, durfte ich ein Weilchen die bescheidenen Habseligkeiten meines Rimbaud bewundern: sein Geografiebuch, seine Reisetasche, seinen Trinkbecher aus Blech, seinen Löffel und Kelim. Ich sah die Stellen, an denen er seinen gestreiften Seidenschal geflickt hatte. Auf einem kleinen Zettel hatte er die Bahre skizziert, auf der man ihn über felsigen Boden zum Schiff getragen hatte, das ihn zum Sterben nach Marseille brachte.
    Am Abend nahm ich ein einfaches Abendessen bestehend aus Eintopf, Wein und Brot zu mir. Ich ging auf mein Zimmer, konnte aber das Alleinsein nicht ertragen. Ich wusch mich,

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