Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
Vom Netzwerk:
Am Fenster mit Blick auf die Fifth Avenue stand ein großer Avocadobaum. Ein großes Prisma brach das Licht zu Regenbogenfarben, die in Kaskaden über einen weißen Heizkörper auf die Wand gegenüber fielen. Robert platzierte mich neben dem Dreieck aus Licht. Seine Hände zitterten leicht, als er darauf wartete abzudrücken. Ich stand da.
    Wolken zogen in schneller Folge vorüber. Irgendwas war mit seinem Belichtungsmesser, Robert war genervt. Er machte ein paar Aufnahmen. Er gab das mit dem Belichtungsmesser auf. Eine Wolke zog auf, und das Dreieck verschwand. Er sagte: »Das Weiß von deinem Hemd gefällt mir wirklich gut. Kannst du mal das Jackett ausziehen?«
    Ich warf mir mein Jackett über die Schulter wie Frank Sinatra. Ich hatte den Kopf voller Zitate. Er nur Licht und Schatten im Kopf.
    »Jetzt ist es wieder da«, sagte er.
    Er machte noch ein paar Aufnahmen.
    »Ich hab’s.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es eben.«
    Er machte an dem Tag zwölf Aufnahmen.
    Nach ein paar Tagen zeigte er mir die Kontaktabzüge. »Das hier hat Magie«, sagte er.
    Wenn ich das Foto heute betrachte, sehe ich nie mich. Ich sehe uns.

    Robert Miller vertrat Künstlerinnen und Künstler wie Joan Mitchell, Lee Krasner und Alice Neel, und nachdem er meine Zeichnungen im ersten Stock des Gotham Book Mart gesehen hatte, bot er mir an, in seiner Galerie auszustellen. Andy Brown hatte mich seit Jahren gefördert und freute sich für mich über diese Chance.
    Als ich seine großzügig geschnittenen, eleganten Räume in der Fifty-seventh Street, Ecke Fifth Avenue betrat, war ich mir nicht sicher, ob ich eines derartigen Rahmens würdig war. Außerdem wollte ich nicht ohne Robert in einer Galerie dieser Größenordnung ausstellen. Ich fragte ihn, ob wir uns nicht zusammentun könnten.
    1978 hatte die Fotografie Robert vollständig gepackt. In seinen kunstvollen Rahmen zeigte sich seine Affinität zu geometrischen Formen. Seine jüngsten Arbeiten waren klassische Porträts und einzigartig sexualisierte Fotos von Blumen, und er hatte die Pornografie in der Kunst salonfähig gemacht. Im Moment arbeitete er daran, das Licht zu meistern und das dichteste Schwarz zu finden.
    Robert war damals bei der Galerie von Holly Solomon und holte sich dort die Erlaubnis, mit mir zusammen auszustellen. Ich wusste nichts von den Gepflogenheiten des Kunstbetriebs, ich wusste nur, dass wir einfach zusammen ausstellen mussten. Wirhatten uns entschieden, Arbeiten zu zeigen, deren Schwerpunkt unsere Beziehung war: Künstler und Muse, zwei Rollen, die sich bei uns jederzeit umkehren ließen.
    Robert wollte, dass wir für die Robert Miller Gallery etwas Außergewöhnliches produzierten. Zunächst suchte er seine besten Aufnahmen von mir aus und machte davon überlebensgroße Abzüge; das Foto von uns beiden auf Coney Island blies er auf eine eins achtzig hohe Leinwand auf. Ich zeichnete eine Reihe von Porträts von ihm und hatte außerdem die Idee, ein paar Zeichnungen nach seinen erotischen Fotografien anzufertigen. Wir wählten einen jungen Mann, der einem anderen in den Mund uriniert, blutige Hoden und ein Individuum, das in einem schwarzen Gummianzug am Boden kauert. Die Abzüge hatten ein relativ kleines Format, und ich umgab einige Bilder mit Gedichten oder fügte ihnen Bleistiftzeichnungen bei.
    Wir überlegten, dazu auch einen Kurzfilm zu drehen, doch unsere Mittel waren beschränkt. Wir warfen unser Geld zusammen, und Robert fand eine Filmstudentin, Lisa Rinzler, die hinter der Kamera stehen sollte.
    Ein Drehbuch brauchten wir nicht. Wir gingen einfach davon aus, dass jeder in seine Rolle finden würde. Als Robert mich aufforderte, ich solle zum Dreh rüber in die Bond Street kommen, sagte er, er hätte eine Überraschung für mich. Ich breitete ein Tuch auf dem Boden aus, legte das zarte weiße Kleid, das Robert mir geschenkt hatte, meine weißen Ballettschuhe, meine indischen Fußglöckchen, meine Seidenbänder und die Familienbibel darauf und verschnürte alles zu einem Bündel. Ich fühlte mich bereit für unser Vorhaben und ging hinüber zu seinem Loft.
    Ich war entzückt, als ich sah, was Robert für mich vorbereitet hatte. Es war, als käme ich nach Hause nach Brooklyn, wo er unser Zimmer oft in eine lebendige Installation verwandelt hatte. Er hatte eine mythische Kulisse geschaffen, die Wände mit weißem Netzgewebe verhängt, davor nichts als eine Statue von Mephistopheles.
    Ich legte mein Bündel ab, und Robert schlug vor, wir sollten

Weitere Kostenlose Bücher