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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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kurz in seinem Gehirn aufgeblitzt war, irgendwie umzusetzen.
    Wenn er den ganzen Tag in Stille zugebracht hatte, wartete er abends begierig auf meine Geschichten über die exzentrischen Kunden in der Buchhandlung, Edward Gorey mit seinen riesigen Tennisschuhen, oder Katherine Hepburn unter Spencer Tracys Kappe mit einem grünen Seidenschal darüber, oder die Rothschilds mit ihren langen schwarzen Mänteln. Anschließend saßen wir auf dem Boden, aßen Spaghetti und sahen uns seine neusten Arbeiten an. Was Roberts Arbeiten so reizvoll für mich machte, war, dass sein visuelles Vokabular meinem poetischen so nah verwandt war, auch wenn wir scheinbar in unterschiedliche Richtungen steuerten. Robert sagte immer zu mir: »Nichts ist fertig, solange du es nicht gesehen hast.«
    Unser erster gemeinsamer Winter war hart. Trotz meines besseren Gehalts von Scribner hatten wir sehr wenig Geld. Oft standen wir in der Kälte an der Ecke des St. James Place, von wo aus man sowohl den griechischen Imbiss wie Jake’s Malerbedarf sehen konnte, und wägten ab, wofür wir unsere spärlichen Dollars ausgeben wollten – schließlich warfen wir eine Münze, ob es gegrillte Käse-Sandwiches oder Künstlerbedarf geben würde. Wenn Robert sich überhaupt nicht schlüssig wurde, welcher Hunger nagender war, wartete er nervös im Diner, während ich, vom Geist Genets beseelt, die dringend benötigten Messingspitzer oder Buntstifte klaute. Ich hatte eine romantischere Auffassung vom Künstlerleben und den Opfern, die man dafür bringen musste. Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass Lee Krasner Arbeitsmaterial für Jackson Pollock geklaut hat. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich fand es inspirierend. Robert grämte sich, weil er nicht zu unserem Lebensunterhalt beitrug. Ich sagte ihm, er solle sich keineGedanken machen, sich großer Kunst zu verschreiben sei an sich schon Lohn genug.
    Nachts spielten wir die Schallplatten, zu denen wir gerne zeichneten, auf unserem lädierten Plattenspieler. Manchmal spielten wir ein Spiel, das wir Platte der Nacht nannten. Das Albumcover der erwählten Platte wurde gut sichtbar auf dem Kaminsims postiert. Wir spielten die Platte immer wieder, und die Musik bestimmte, wo der Abend hinging.
    Es störte mich nicht, völlig unbeachtet zu arbeiten. Ich war ja kaum mehr als eine Studentin. Robert hingegen, der so scheu und wortkarg war und scheinbar nie im Gleichklang mit allen anderen um ihn herum, war sehr ehrgeizig. Duchamp und Warhol waren seine modernen Vorbilder. Hohe Kunst und High Society; er strebte nach beidem. Wir waren ein komischer Mix aus Ein süßer Fratz und Faust.
    Man kann sich nicht vorstellen, wie glücklich wir beide waren, wenn wir zusammen saßen und zeichneten. Für Stunden verloren wir uns darin. Seine Gabe, sich so lange zu konzentrieren, färbte auf mich ab, und ich lernte von seinem Beispiel, wenn wir Seite an Seite arbeiteten. Wenn wir eine Pause machten, kochte ich Wasser und machte uns einen Nescafé.
    Nach einer besonders guten Arbeitsstrecke bummelten wir die Myrtle Avenue runter, schauten, ob es irgendwo Mallomars gab, Roberts Lieblingssüßigkeit, ein Marshmallow auf einem Keksboden, das Ganze mit Bitterschokolade überzogen, und schmissen dafür unser ganzes Geld raus. Obwohl wir die meiste Zeit zusammen verbrachten, waren wir nicht isoliert. Unsere Freunde kamen uns besuchen. Harvey Parks und Louis Delsarte waren Maler; manchmal arbeiteten wir alle zusammen nebeneinander auf dem Fußboden. Louis porträtierte uns beide, Robert mit einer indianischen Halskette, mich mit geschlossenen Augen. Ed Hansen steuerte sein Wissen und seine Collagen bei, und Janet Hamill las uns ihre Gedichte vor. Ich zeigte meine Zeichnungen und erzählte Geschichten dazu, so wie Wendy den Verlorenen Jungen inNimmerland. Wir blieben eine Truppe von Außenseitern, selbst im liberalen Klima einer Kunstakademie. Wir nannten uns im Spaß den »Loser-Salon«.
    Gelegentlich rauchten Harvey, Louis und Robert abends einen Joint und trommelten. Robert hatte seine eigenen Tablas. Dazu begleiteten sie sich selbst mit Rezitationen aus Timothy Learys Psychedelic Prayers, einem der wenigen Bücher, die Robert tatsächlich gelesen hatte. Gelegentlich legte ich ihnen die Karten, deren Bedeutung ich mir aus einem Mix von Papus und eigener Intuition zusammenreimte. Diese Nächte waren mit nichts zu vergleichen, das ich je in South Jersey erlebt hatte, irgendwie skurril und voller Liebe.
    Eine neue Freundin trat in mein

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