Just Kids
schwarz und violett. Er tackerte sie an die Wand und arrangierte darauf Kruzifixe und Drucke mit religiösen Motiven. Wir fanden ohne große Mühe gerahmteHeiligenbilder im Sperrmüll oder in den Läden der Heilsarmee. Robert nahm die Lithografien heraus, handkolorierte sie oder integrierte sie in große Zeichnungen, Collagen oder Assemblagen.
Aber Robert, der sich von dem erdrückenden Katholizismus seines Elternhauses befreien wollte, beschäftigte sich intensiv mit einer anderen Facette des Göttlichen, die vom Engel des Lichts beherrscht war. Das Bild Luzifers, des gefallenen Engels, verdunkelte schließlich die Heiligen, mit denen er seine Collagen bestückte oder seine Kästchen verschönerte. Auf ein Holzkästchen applizierte er das Gesicht Jesu Christi; innen eine Madonna mit Kind und eine winzige weiße Rose; und im Innendeckel fand ich zu meiner Überraschung das Gesicht des Teufels, der seine lange Zunge herausstreckte.
Wenn ich nach Hause kam, traf ich ihn in seiner braunen Mönchskutte an, einer Jesuitentracht, die er in einem Secondhandladen aufgestöbert hatte, vertieft in Abhandlungen über Alchemie und Magie. Er bat mich, ihm Bücher zu besorgen, die sich irgendwie mit Okkultem befassten. Anfangs las er diese Bücher nicht direkt, er verwertete nur die Pentagramme und satanischen Bilder daraus, die er dekonstruierte und neu zusammensetzte. Er war nicht böse, doch als zunehmend dunklere Elemente Eingang in seine Arbeiten fanden, wurde er verschlossener.
Er begann sich mit Zauberzeichen zu befassen, mit denen man angeblich Satan herbeirufen konnte wie einen Flaschengeist. Er stellte sich vor, wenn er einen Pakt einginge, durch den er an Satans reinste Essenz, das Wesen des Lichts, herankam, würden sich zwei verwandte Seelen erkennen, und Satan würde es ihm mit Ruhm und Reichtum lohnen. Um künstlerische Begabung brauchte er nicht zu bitten, weil für ihn nie ein Zweifel bestand, dass er zu Höherem bestimmt war.
»Du machst es dir zu leicht«, sagte ich.
»Warum sollte ich es mir denn schwer machen?«, antwortete er.
Manchmal ging ich während meiner Lunchpause bei Scribner in die St. Patrick’s Kirche, um den jungen Heiligen Stanislaus zubesuchen. Ich betete für die Toten, die ich ebenso liebte wie die Lebenden: Rimbaud, Seurat, Camille Claudel und die Geliebte von Jules Lafourges. Und ich betete für uns.
Roberts Gebete waren wie Wünsche. Es gelüstete ihn immer nach okkultem Wissen. Wir beteten beide um Roberts Seele, er, um sie zu verkaufen, ich, um sie zu retten.
Später würde er sagen, dass die Kirche ihn zu Gott, das LSD aber zum Universum geführt habe. Er sagte auch, Kunst habe ihn zum Teufel geführt, und Sex habe dafür gesorgt, dass er dort blieb.
Einige Omen und Vorzeichen waren so quälend, dass ich sie verdrängte. In der Hall Street stand ich nachts irgendwann in der Tür zu unserem Schlafzimmer, wo Robert schlief, und sah ihn in einer Vision auf eine Bank gestreckt, sah sein weißes Hemd zusammensinken, während er vor meinen Augen zu Staub zerfiel. Robert wachte auf und spürte mein Entsetzen. »Was hast du gesehen?«, rief er.
»Nichts«, antwortete ich ihm und wandte mich ab. Ich wollte lieber nicht glauben, was ich gesehen hatte. Und doch sollte ich eines Tages die Urne mit seiner Asche in der Hand halten.
Robert und ich stritten uns selten, aber wir zankten uns wie Kinder – in erster Linie um die Verwendung unseres schmalen Einkommens. Ich verdiente fünfundsechzig Dollar die Woche, und Robert, was immer seine Gelegenheitsjobs einbrachten. Bei einer Miete von achtzig Dollar im Monat plus Nebenkosten mussten wir uns jede Ausgabe genau überlegen. Eine U-Bahn-Fahrt kostete zwanzig Cents, und ich kam auf zehn in der Woche. Robert rauchte Zigaretten, eine Schachtel kostete fünfunddreißig Cents. Meine schlechte Angewohnheit, zu oft das Münztelefon im Diner zu benutzen, stellte das größte Problem dar. Dass ich so sehr an meinen Geschwistern hing, konnte er nicht nachvollziehen. Eine Handvoll Münzen fürs Telefon konnte eine Mahlzeit wenigerbedeuten. Meine Mutter legte ihren Karten oder Briefen manchmal eine Dollarnote bei. Diese so bescheiden wirkende Geste kostete sie eine Menge von ihrem Kellnerinnentrinkgeld, und wir wussten sie immer zu schätzen.
Wir gingen gerne in die Bowery und sahen uns zerlumpte Seidenkleider, durchgescheuerte Kaschmirmäntel und gebrauchte Motorradjacken an. Auf der Orchard Street jagten wir nach Materialien, die nicht teuer, aber
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