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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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redete, stieg ich den Kran hoch und gab ihm das Lamm. Er zitterte. Wir waren James Dean und Natalie Wood, und er war unser Sal Mineo. Griffith Park in Brooklyn.
    Ed kam mit mir nach unten, und Robert brachte ihn nach Hause.
    »Keine Sorge wegen des Lamms«, sagte er, als er zurückkam. »Ich besorge ein neues für dich.«
    Wir verloren den Kontakt zu Ed, aber ein Jahrzehnt später war er auf unerwartete Weise wieder bei mir. Als ich mit meiner E-Gitarre ans Mikrofon ging, um die erste Zeile So you want to be a rock and roll star zu singen, erinnerte ich mich plötzlich an seine Worte. Ja, die kleinen Propheten.

    Es gab Tage, regnerische Tage, an denen die Straßen von Brooklyn ein Foto wert waren, jedes Fenster das Objektiv einer Leica, das Bild körnig und bewegungslos. Wir holten unsere Buntstifte und Papierbögen und zeichneten wie verwilderte, ungezähmte Kinder bis tief in die Nacht, bis wir erschöpft ins Bett fielen. Wir lagen eng umschlungen da, noch immer unbeholfen, aber glücklich, und tauschten atemlose Küsse bis in den Schlaf.
    Der Junge, den ich kennengelernt hatte, war schüchtern und bekam den Mund nicht auf. Er wollte sich führen lassen, bei der Hand genommen werden und folgte einem beherzt in eine fremde, neue Welt. Er war ein Mann und Beschützer, trotz seines femininen, gefügigen Wesens. So penibel er mit seiner Kleidung und in seinem ganzen Auftreten war, so erschreckend wüst konnte seine Kunst sein. Seine eigenen Welten waren einsam und gefährlich, in ihnen herrschte bereits Freiheit, Ekstase und Entfesselung.
    Manchmal wachte ich auf und sah ihn im schwachen Schein von Votivkerzen arbeiten. Er fügte einer Zeichnung ein paar Striche hinzu, drehte die Arbeit hin und her und begutachtete sie aus allen Blickwinkeln. Geistesabwesend, ganz in Anspruch genommen, schaute er plötzlich hoch, sah meinen Blick und lächelte. Dieses Lächeln überwand alles, was er gerade empfand oder durchlebte – selbst später noch, unter furchtbaren Schmerzen im Todeskampf.
    Gewinnt im Widerstreit zwischen Magie und Religion zuletzt immer die Magie? Vielleicht waren Priester und Magier vordem eins, doch der Priester, der im Angesicht Gottes Demut gelernt hatte, verwarf den Zauber zugunsten des Gebets. Robert glaubte an das Gesetz der Empathie, dass er sich einfach willentlich in ein Objekt oder Kunstwerk verwandeln und so auf die Außenwelt einwirken konnte. Er fühlte sich durch seine Arbeiten nicht befreit. Es ging ihm nicht um Befreiung. Ihm ging es darum zu sehen, was andere nicht sahen, um das Sichtbarmachen seiner inneren Bilder.
    Sein eigener Arbeitsprozess erschien ihm mühselig und stumpfsinnig, weil er immer schon so klare Vorstellungen davon hatte, wie das Endergebnis aussehen sollte. Bildhauerei reizte ihn, aber das Medium fand er obsolet. Trotzdem betrachtete er stundenlang Michelangelos Sklaven und wünschte sich, er könnte auch ohne Hammer und Meißel die Erfahrung machen, mit dem menschlichen Körper zu arbeiten.
    Er skizzierte eine Idee für ein Tableau, das uns in einem tantrischen Garten Eden zeigte. Er brauchte Nacktbilder von uns, um sie auszuschneiden und in den geometrischen Garten zu setzen, der in seiner Vorstellung bereits blühte. Er bat einen Mitstudenten, Lloyd Ziff, uns nackt zu fotografieren, aber ich war davon nicht gerade begeistert. Mich zu zeigen lag mir nicht, weil ich wegen der Narben auf meinem Bauch immer noch leichte Hemmungen hatte.
    Die Bilder waren steif und nicht so, wie Robert sie sich vorgestellt hatte. Ich hatte eine alte 35mm-Kamera und schlug ihm vor, er solle die Fotos selbst schießen, aber er brachte nicht die Geduld auf, sie zu entwickeln und Abzüge zu machen. Er arbeitete so viel mit Fotomaterial aus den unterschiedlichsten Quellen, dass ich dachte, er könne schneller zum gewünschten Ergebnis kommen, wenn er selbst fotografierte. »Am liebsten würde ich alles direkt aufs Papier projizieren«, sagte er. »Wenn ich halb mit der Arbeit durch bin, bin ich in Gedanken schon bei etwas ganz anderem.« Der Garten wurde nie verwirklicht.
    Roberts frühe Arbeiten hatten ihren Ursprung unverkennbar in seinen LSD-Erfahrungen. Seine Zeichnungen und kleinen Assemblagen hatten den angestaubten Charme der Surrealisten und die geometrische Klarheit von tantrischer Kunst. Allmählich nahmen die Arbeiten eine Wendung zum Katholizismus: das Lamm, die Jungfrau Maria und Jesus Christus.
    Er nahm die indianischen Stoffe von den Wänden und färbte unsere alten Bettlaken

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