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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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von Coretta Scott King, die ihre kleine Tochter tröstete, das Gesicht hinter dem Witwenschleier nass vor Tränen. Ich war todtraurig, genau wie als Teenager, als Jackie Kennedy im fließenden schwarzen Schleier mit ihren Kindern dastand, während der Sarg ihres Ehemannes auf einer von Pferden gezogenen Lafette vorbeifuhr. Ich versuchte, meine Gefühle in einer Zeichnung oder einem Gedicht auszudrücken, aber es gelang mir nicht.
    Robert hatte mir ein weißes Kleid als Ostergeschenk gekauft, aber er gab es mir schon am Palmsonntag, weil ich so furchtbar unglücklich war. Es war ein leicht ramponiertes viktorianisches Teekleid aus weißem Taschentuchleinen. Ich liebte es über alles und trug es in unserer Wohnung als hauchzarte Rüstung gegen die unheilvollen Vorzeichen des Jahres 1968.
    Für das Familiendinner bei den Mapplethorpes taugte mein Osterkleid leider nicht, allerdings auch kein einziges anderes unserer wenigen Kleidungsstücke.
    Ich hatte mich relativ problemlos von meinen Eltern abgenabelt. Ich liebte sie, verschwendete aber keine Gedanken daran, was sie von meinem und Roberts Zusammenleben hielten. Robert warnicht so frei. Er war noch immer ihr katholischer Sohn, der ihnen nicht gestehen konnte, dass wir zusammen in Sünde lebten. Er war in meinem Elternhaus mit offenen Armen empfangen worden, fürchtete aber, ich könnte in seinem weniger willkommen sein.
    Zuerst hielt Robert es für das Beste, seine Eltern mit Telefonanrufen ganz allmählich auf mich vorzubereiten. Dann beschloss er, ihnen zu erzählen, wir wären nach Aruba durchgebrannt und hätten dort geheiratet. Als ein Freund in die Karibik reiste, gab Robert ihm einen Brief an seine Mutter mit, den sein Freund in Aruba in den Briefkasten warf.
    Ich fand dieses komplizierte Täuschungsmanöver unnötig. Ich fand, er sollte ihnen einfach die Wahrheit sagen, weil ich tatsächlich glaubte, sie würden uns schließlich so nehmen, wie wir waren. »Nein«, sagte er immer wieder verzweifelt, »sie sind ganz streng katholisch.«
    Erst als wir seine Eltern besuchten, verstand ich seine Befürchtungen. Sein Vater begrüßte uns mit eisigem Schweigen. Ich konnte nicht begreifen, dass ein Mann seinen Sohn nicht umarmte.
    Die ganze Familie saß um den Tisch im Esszimmer herum, seine ältere Schwester und sein älterer Bruder nebst Ehepartnern und seine vier jüngeren Geschwister. Der Tisch war gedeckt, alles da für ein perfektes Festessen. Sein Vater würdigte mich kaum eines Blickes, und das Einzige, was er zu Robert sagte, war: »Lass dir mal die Haare schneiden. Du siehst aus wie ein Mädchen.«
    Roberts Mutter Joan tat ihr Bestes, um uns ein wenig Herzlichkeit zu vermitteln. Nach dem Abendessen steckte sie Robert ein bisschen Geld aus ihrer Küchenschürze zu und nahm mich mit in ihr Zimmer, wo sie an ihre Schmuckschatulle ging. Sie schaute auf meine Hand und nahm einen goldenen Ring heraus. »Wir hatten nicht genug Geld für einen Ring«, sagte ich.
    »So einer gehört an den linken Ringfinger«, sagte sie und drückte ihn mir in die Hand.
    Robert verhielt sich Joan gegenüber sehr liebevoll, wenn Harry nicht dabei war. Joan hatte Witz. Sie lachte gerne, rauchte Ketteund machte fanatisch Hausputz. Ich merkte, dass Robert seinen Ordnungssinn nicht von der katholischen Kirche allein hatte. Robert war Joans Liebling, und sie schien insgeheim stolz zu sein, dass er seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte. Roberts Vater hatte gewollt, dass er Werbedesign studierte, aber Robert hatte sich geweigert. Er brannte darauf, sich seinem Vater gegenüber zu beweisen.
    Die gesamte Familie drückte und gratulierte uns beim Abschied. Nur Harry stand im Hintergrund. »Ich glaube nicht, dass die überhaupt verheiratet sind«, hörte man ihn sagen.
    Robert schnitt Zirkusfreaks aus einem großen Paperback über Tod Browning aus. Überall flogen Hermaphroditen, Spitzköpfe und siamesische Zwillinge herum. Ich war perplex, weil ich keinen Zusammenhang zwischen diesen Bildern und Roberts jüngster Beschäftigung mit Magie und Religion erkennen konnte. Wie immer fand ich Wege, in meinen eigenen Zeichnungen und Gedichten mit ihm Schritt zu halten. Ich zeichnete Zirkusattraktionen und schrieb Balladen über sie – über Hagen Waker, den nachtaktiven Seiltänzer, Balthazar, den Jungen mit dem Eselskopf und Aratha Kelly mit seinem Mondgesicht. Robert konnte sich nicht erklären, was ihn an den Freaks so besonders anzog, und ich nicht, warum ich sie mir ausdachte.
    Wenn wir in

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