Just Kids
dieser Stimmung waren, fuhren wir nach Coney Island, um uns die Abnormitätenschauen anzusehen. Wir wollten auch Hubert’s Museum in der Forty-second Street besuchen, wo es die Schlangenprinzessin Wago und einen Flohzirkus gegeben hatte, aber es hatte 1965 dichtgemacht. Dafür fanden wir ein anderes kleines Museum, in dem Körperteile und Embryos in Kolbengläsern ausgestellt waren, und Robert bekam die fixe Idee, etwas in der Art in eine Assemblage einzubauen. Er fragte sich durch, wo man etwas Derartiges bekommen konnte, und ein Freund erzählte ihm von der Ruine des alten City Hospitals auf Welfare (dem späteren Roosevelt) Island.
An einem Sonntag machten wir mit Freunden vom Pratt Institute einen Ausflug dorthin. Wir besuchten zwei Orte auf der Insel. Einmal einen riesigen Gebäudekomplex aus dem neunzehnten Jahrhundert, der an ein Irrenhaus gemahnte; es war das Blatternhospital, die erste Einrichtung in Amerika, die Infizierte aufnahm. Nur durch Stacheldraht und Glasscherben davon getrennt, versuchten wir uns vorzustellen, wir stürben an Lepra oder Pest.
Die anderen verfallenen Gemäuer waren die Überreste des City Hospitals mit seiner abweisenden Anstaltsarchitektur, das 1994 endgültig abgerissen wurde. Als wir es betraten, empfing uns Stille und ein seltsamer, medizinischer Geruch. Wir gingen von Raum zu Raum und sahen Regale mit medizinischen Präparaten in Glasbehältern. Viele waren kaputt, nachdem sie Besuch von Nagern gehabt hatten. Robert durchkämmte alle Räume, bis er gefunden hatte, was er suchte, ein in Formaldehyd schwimmender Embryo in einer gläsernen Gebärmutter.
Wir befanden einstimmig, dass Robert irgendeine wunderbare Verwendung dafür finden würde. Auf dem Heimweg drückte er den kostbaren Fund an sich. Sogar in seinem Schweigen spürte ich die Aufregung und Vorfreude, mit der er sich ausmalte, wie er Kunst daraus machen würde. Auf der Myrtle Avenue trennten wir uns von unseren Freunden. In dem Moment, in dem wir in die Hall Street abbogen, rutschte ihm der Glasbehälter irgendwie aus den Händen und zersprang auf dem Bürgersteig, nur wenige Schritte vor unserer Tür.
Ich sah sein Gesicht. Er war so bestürzt, dass wir beide kein Wort herausbekamen. Das entwendete Gefäß hatte für Jahrzehnte ungestört und unversehrt im Regal gestanden. Es war beinahe so, als hätte er es umgebracht. »Geh schon mal rauf«, sagte er. »Ich mache das hier weg.« Wir erwähnten es nie wieder. Es war so eine Sache mit dem Gefäß. Die dicken Glasscherben schienen etwas vorwegzunehmen, das sich über uns zusammenbraute; wir sprachen nicht darüber, aber wir waren beide von einer vagen inneren Unrast befallen.
Anfang Juni schoss Valerie Solanas auf Andy Warhol. Obwohl Robert nicht dazu neigte, Künstler zu romantisieren, war er davon sehr erschüttert. Er liebte Andy Warhol und betrachtete ihn als unseren wichtigsten lebenden Künstler. Wenn er jemals etwas wie Heldenverehrung aufbrachte, dann für Warhol. Er hatte hohe Achtung vor Künstlern wie Cocteau und Pasolini, die Leben und Kunst zu einer Einheit verschmolzen, aber für Robert war Andy Warhol, der in seiner silberverkleideten Factory die Inszenierung des Menschlichen dokumentierte, der interessanteste unter ihnen.
Ich empfand für Warhol nicht dasselbe wie Robert. Seine Arbeit war Abbild einer Kultur, mit der ich nichts zu tun haben wollte. Ich hasste die Suppe und hatte für die Dose nicht viel übrig. Mir war ein Künstler lieber, der seine Zeit umgestaltete, nicht bloß widerspiegelte.
Kurz darauf geriet ich mit einem meiner Kunden in eine Diskussion über politische Verantwortung. Es war ein Wahljahr, und mein Kunde war Wahlkampfmanager für Robert Kennedy. In Kalifornien standen Vorwahlen an, und wir wollten uns im Anschluss daran wieder treffen. Ich war begeistert von der Aussicht, mit jemandem zu arbeiten, der dieselben Ideale teilte wie ich und der versprach, den Vietnamkrieg zu beenden. Ich sah in Kennedys Kandidatur eine Chance, Idealismus in sinnvolles politisches Handeln umzusetzen, dass man wirklich etwas für die tun könnte, die es am meisten brauchten.
Robert war noch mitgenommen von den Schüssen auf Andy Warhol und blieb zu Hause, um an einer Zeichnung als Tribut für Andy zu arbeiten. Ich fuhr nach Hause, um meinen Vater zu besuchen. Er war ein kluger, fairer Mann, und ich wollte wissen, was er von Robert Kennedy hielt. Wir saßen zusammen auf dem Sofa und warteten auf die Wahlergebnisse. Ich war von Stolz erfüllt,
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