Just Kids
als RFK seine Siegesrede hielt. Wir sahen, wie er das Podium verließ, und mein Vater zwinkerte mir zu, er freute sich auf einen Neuanfang mit unserem jungen Kandidaten und über meinenEnthusiasmus. Für wenige unschuldige Momente glaubte ich tatsächlich, dass alles gut werden würde. Wir sahen, wie er sich den Weg durch die jubelnde Menge bahnte, Hände schüttelte und mit dem berühmten Kennedy-Lächeln Hoffnung gab. Dann stürzte er. Wir sahen seine Frau neben ihm niederknien.
Senator Kennedy war tot.
»Daddy, Daddy«, schluchzte ich und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter.
Mein Vater legte den Arm um mich. Er sagte nichts. Ich glaube, er war nicht mehr zu erschüttern. Aber mir erschien es, als ob die Welt da draußen auseinanderfiel, und meine eigene zunehmend auch.
Ich kehrte heim zu ausgeschnittenen Statuen, Torsos und Hinterbacken der Griechen, den Sklaven von Michelangelo, Bilder von Matrosen, Tätowierungen und Sternen. Um nicht den Anschluss an ihn zu verlieren, las ich Robert Passagen aus Genets Wunder der Rose vor, aber er war mir immer einen Schritt voraus. Während ich Genet las, war er schon dabei, Genet zu werden.
Die Schaffellweste und die Glasperlen rangierte er aus, dafür besorgte er sich irgendwo eine Matrosenkluft. Liebe zum Meer war es bei ihm nicht. Mit Matrosenjacke und Mütze erinnerte er an eine Cocteau-Zeichnung oder die Welt von Genets Robert Querelle. Krieg interessierte ihn nicht, für ihn lag der Reiz in den Reliquien und Ritualen des Krieges. Er bewunderte die stoische Schönheit, mit der japanische Kamikaze-Piloten ihre Kleidung – penibel gefaltetes Hemd, weißer Seidenschal – herauslegten, um sie vor dem Kampf anzuziehen.
Ich teilte seine Obsessionen gerne mit ihm. Ich trieb für ihn eine Caban-Jacke und einen seidenen Pilotenschal auf, auch wenn meine Wahrnehmung des Zweiten Weltkriegs durch die Bombe und Das Tagebuch der Anne Frank gefiltert war. Ich gestand ihm seine Welt zu, so wie er bereitwillig in meine kam. Doch manchmal war ich verwirrt oder sogar verärgert über seine plötzlichen Transformationen. Als er die Wände und die Decke mit denschönen Stuckrosetten in unserem Schlafzimmer mit Silberfolie auskleidete, fühlte ich mich ausgeschlossen, weil er es mehr für sich als für mich gemacht zu haben schien. Er versprach sich davon irgendeine stimulierende Wirkung, aber in meinen Augen hatte es nur den verzerrenden Effekt eines Spiegelkabinetts. Ich trauerte der romantischen Kapelle nach, in der wir geschlafen hatten.
Er war enttäuscht, dass es mir nicht gefiel. »Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte ich ihn.
»Ich denke nicht«, sagte er bestimmt. »Ich fühle.«
Robert war lieb zu mir, trotzdem merkte ich, dass er woanders war. Ich war daran gewöhnt, dass er still war, aber nicht an dieses stumme Brüten. Irgendetwas machte ihm zu schaffen, etwas, das diesmal nichts mit Geld zu tun hatte. Er war gleichbleibend zärtlich zu mir, aber er schleppte irgendwas mit sich herum.
Er schlief am Tag und arbeitete die Nacht durch. Wenn ich wach wurde, fand ich ihn versunken vor den Marmorkörpern von Michelangelo, deren Bilder er in einer Reihe an die Wand gepinnt hatte. Ein Streit wäre mir lieber gewesen als dieses Schweigen, aber das war nicht seine Art. Ich konnte seine Stimmungen nicht mehr entschlüsseln.
Mir fiel auf, dass nachts keine Musik mehr lief. Er zog sich von mir zurück und ging unruhig hin und her, planlos, ohne seine Arbeiten zu Ende zu bringen. Halbfertige Montagen von Freaks, Heiligen und Matrosen bedeckten den Boden. Es sah ihm nicht ähnlich, seine Arbeit in diesem Stadium zu belassen. Genau das hatte er mir immer vorgehalten. Ich stand hilflos vor der stoischen Dunkelheit, die ihn umgab.
Seine Unruhe steigerte sich, je weniger er mit seinen Arbeiten zufrieden war. »Die alte Bildsprache funktioniert für mich nicht«, sagte er dann. An einem Sonntagnachmittag ging er mit einem Lötkolben auf den Schoß einer Madonna los. Nachdem er fertig war, tat er es achselzuckend ab. »Ein Anfall von Wahnsinn«, sagte er.
Es folgte eine Zeit, in der Roberts Ästhetik soübermächtig wurde, dass ich den Eindruck bekam, wir befänden uns nicht mehr in unserer, sondern in seiner Welt. Ich glaubte an ihn, aber er hatte unser Zuhause in ein Theater nach seinem eigenen Entwurf verwandelt. Der samtene Bühnenprospekt unseres Märchens war Metallic-Tönen und schwarzem Satin gewichen. Der weiße Maulbeerbaum war mit schwerem Netz abgedeckt. Während
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