Just Kids
er schlief, ging ich auf und ab, überall gegen Wände prallend wie eine verstörte Taube, die im einsamen Gefängnis einer Cornell-Box flattert.
Unsere wortlosen Nächte machten mich unruhig. Mit dem Wetterumschwung veränderte sich auch etwas in mir. Ich spürte ein Verlangen, eine Neugier und Lebendigkeit, die jedes Mal abgewürgt wurden, wenn ich abends nach der Arbeit von der U-Bahn-Station zur Hall Street ging. Immer öfter schaute ich erst bei Janet auf der Clinton Street vorbei, aber wenn ich zu lange blieb, wurde Robert stinksauer; so besitzergreifend kannte ich ihn gar nicht. »Ich hab den ganzen Tag auf dich gewartet«, sagte er dann.
Nach und nach verbrachte ich immer mehr Zeit mit alten Freunden vom Pratt Institute, besonders mit dem Maler Howard Michaels. Er war der Junge, nach dem ich an dem Tag gesucht hatte, an dem ich Robert kennenlernte. Er war mit dem Künstler Kenny Tisa in die Clinton Street gezogen, aber zu der Zeit war er allein. Seinen riesigen Bildern wohnte etwas von der Energie der Hans-Hofmann-Schule inne, und seine Zeichnungen trugen zwar eine eigene Handschrift, erinnerten aber auch an die von Pollock und de Kooning.
Mein Hunger nach Austausch zog mich zu ihm hin. Howie, wie er genannt wurde, war sprachgewandt, leidenschaftlich, belesen und politisch aktiv. Es war befreiend, mit jemandem über allesvon Nietzsche bis Godard reden zu können. Ich bewunderte seine Arbeiten und freute mich über die Verbundenheit zwischen uns, die bei diesen Besuchen zu spüren war. Doch allmählich erzählte ich Robert gegenüber immer weniger offen von der zwischen uns wachsenden Intimität.
Zurückblickend markierte der Sommer 1968 ein körperliches Erwachen für Robert wie für mich. Ich hatte noch nicht begriffen, dass Roberts widersprüchliches Verhalten mit seiner Sexualität zu tun hatte. Ich wusste, dass er sehr viel für mich empfand, aber mir erschien es so, dass ich ihn körperlich nicht mehr reizte. In gewisser Hinsicht fühlte ich mich betrogen, aber in Wirklichkeit war ich es, die ihn betrog.
Ich mied unser kleines Zuhause in der Hall Street. Robert war am Boden zerstört, hatte aber immer noch keine Erklärung für das Schweigen anzubieten, das uns umschloss. Es war kein einfacher Schritt für mich, die Welt, die Robert und ich geteilt hatten, hinter mir zu lassen. Ich war nicht sicher, wo es für mich hingehen sollte, also nahm ich dankbar an, als Janet mir anbot, sich mit mir eine Wohnung im fünften Stock auf der Lower East Side zu teilen. Das Arrangement war zwar schmerzlich für Robert, aber es war ihm weitaus lieber, als wenn ich allein gewohnt hätte oder zu Howie gezogen wäre.
So unglücklich er über meinen Abschied auch war, half Robert mir trotzdem beim Umzug in meine neue Wohnung. Zum ersten Mal hatte ich ein Zimmer ganz für mich allein, das ich ganz nach meinen Wünschen gestalten konnte, und ich begann eine neue Serie von Zeichnungen. Ich ließ meine Zirkustiere hinter mir und machte mich selbst zum Gegenstand. Diese Selbstporträts betonten meine weiblichere, erdverbundenere Seite. Ich begann Kleider zu tragen und meine Haare zu wellen. Ich wartete auf meinen Maler, aber meistens vergeblich.
Robert und ich kamen nicht voneinander los und trafen uns weiterhin. Auch während meiner kurzlebigen Beziehung mit Howie beschwor er mich zurückzukommen. Er wollte, dass wirwieder zusammen waren, als sei nichts passiert. Er war bereit, mir zu vergeben, aber ich war nicht reumütig. Ich war nicht bereit, einen Schritt zurückzugehen, besonders weil Robert immer noch mit irgendeinem inneren Aufruhr zu kämpfen hatte, zu dem er sich jedoch weiterhin nicht äußern wollte.
Anfang September kreuzte Robert plötzlich bei Scribner auf. Er trug einen langen rotbraunen Ledertrenchcoat mit Gürtel, in dem er attraktiv, aber auch irgendwie verloren aussah. Er hatte sich erneut am Pratt eingeschrieben und ein Studentendarlehen beantragt – von einem Teil des Geldes hatte er den Mantel und eine Fahrkarte nach San Francisco gekauft.
Er sagte, er wolle mit mir reden. Wir gingen nach draußen und standen an der Ecke Forty-eighth Street und Fifth Avenue. »Bitte komm zurück«, sagte er, »sonst haue ich ab nach San Francisco.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, was er dort wollte. Seine Erklärung war zusammenhanglos, vage. Liberty Street, da war irgendwer, der sich auskannte, ein Laden auf der Castro Street.
Dann griff er plötzlich nach meiner Hand. »Komm mit mir. Da ist die Freiheit.
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