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geschrieben, dass er mich vermisste und dass er erreicht hatte, was er sich vorgenommen hatte – mehr über sich selbst zu erfahren. Noch während er mir von seinen Erfahrungen mit anderen Männern erzählte, versicherte er mir, dass er mich liebte.
Ich regte mich über Roberts Eingeständnis viel mehr auf, als ich erwartet hätte. Auf so etwas war ich überhaupt nicht vorbereitet. Ich glaubte, ich hätte ihm nicht genügt. Ich lebte in dem Glauben, ein Mann würde homosexuell, wenn er nicht die richtige Frau fand, die ihn vor diesem Los bewahrte, eine Fehlannahme, zu der mich die tragische Verbindung von Rimbaud und Paul Verlaine verleitet hatte. Rimbaud bedauerte bis zum Ende seines Lebens, dass er keine Frau fand, mit der er alles voll und ganz teilen konnte, physisch und intellektuell. In meiner ausschließlich von Literatur geprägten Vorstellung war Homosexualität eine Geißel der dichterischen Existenz, zumindest hatte ich Mishima, Gide und Genet so verstanden. Davon, wie Homosexualität wirklich aussah, hatte ich nicht die geringste Vorstellung. Ich verband sie untrennbar mit Affektiertheit und Extravaganz. Ich hatte mir immer etwas darauf eingebildet, nicht engstirnig zu sein, aber meine Vorstellungen waren sehr beschränkt und provinziell. Sogar beim Lesen von Genet betrachtete ich seine Männer als eine mystische Rasse von Dieben und Matrosen. Ich machte mir kein richtiges Bild von ihrer Welt. Genet war für mich in erster Linie Dichter.
Robert und ich entwickelten ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Ich musste in meiner Suche aus mir herausgehen, und er musste in sich selbst suchen. Er lotete das Vokabular seiner Formensprache aus, und im Verschieben und Verwandeln seiner Komponenten schuf er sozusagen ein Tagebuch seiner eigenen inneren Evolution, das vom Hervorbrechen einer unterdrückten sexuellen Identität kündete. Aus seinem Verhalten habe ich nie etwas herausgelesen, das ich als homosexuell eingestuft hätte.
Mir wurde klar, dass er versucht hatte, seine Veranlagung zu verleugnen, sich sein eigenes Verlangen zu versagen, damit es mit uns klappte. Ich meinerseits fragte mich, ob es mir hätte gelingen müssen, diese Begierden zu zerstreuen. Er war immer zu schüchtern, zu respektvoll und zu ängstlich gewesen, um von diesen Dingen zu sprechen, aber es gab keinen Zweifel, dass er mich immer noch liebte, und ich ihn.
Als Robert aus San Francisco zurückkam, wirkte er zugleich euphorisch und aufgewühlt. Ich hatte gehofft, dass er wie umgewandelt zurückkommen würde, und so war es auch, allerdings nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Er schien von innen heraus zu leuchten, was wieder mehr an sein altes Ich erinnerte, und war zu mir liebevoller denn je. Obwohl er ein sexuelles Erwachen erlebt hatte, hoffte er immer noch, unsere Beziehung auf irgendeinem Weg weiterzuführen. Ich war nicht sicher, ob ich mit seinem neuen Selbstverständnis zurechtkommen würde, oder er mit meinem. Während ich noch zauderte, lernte er jemanden kennen, einen Jungen namens Terry, und riskierte seine erste Affäre mit einem Mann.
Alle physischen Kontakte, die er in San Francisco hatte, waren zufällig und reines Experimentieren gewesen. Terry war ein richtiger fester Freund, liebenswert und hübsch, mit welligem braunem Haar. Die beiden hatten immer etwas Narzisstisches an sich, mit ihren Mänteln im Partnerlook und den sprechenden Blicken. Sie sahen sich täuschend ähnlich, weniger in ihrer körperlichen Erscheinung als in der Körpersprache, völlig synchron. Ich schwankte zwischen Verständnis und Neid auf ihre Intimität und die Geheimnisse, die sie vermeintlich miteinander teilten.
Robert hatte Terry über Judy Linn kennengelernt. Terry als der freundliche und einfühlsame Junge, der er war, akzeptierte Roberts Gefühle für mich und war mir gegenüber immer herzlich und einfühlsam. An Terry und Robert konnte ich beobachten, dass Homosexualität etwas ganz Natürliches war. Aber als die Gefühle zwischen Terry und Robert tiefer wurden und meine zwischenzeitliche Beziehung mit meinem Maler im Sand verlief, fand ich mich vollkommen allein und innerlich zerrissen wieder.
Robert und Terry besuchten mich oft, und obwohl zwischen uns nichts Negatives war, drehte ich irgendwann durch. Vielleicht war es das ungemütliche Wetter, meine kleinlaute Rückkehr nach Brooklyn oder die ungewohnte Einsamkeit, jedenfalls verfiel ich in lange Weinkrämpfe. Robert tat alles, damit es mir wieder besser ging, während
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