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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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hatte ich an der Ungebundenheit Gefallen gefunden, und ich konnte mich nur schwer wieder eingewöhnen. Meine Freundin Janet war nach San Francisco gezogen, ich hatte also auch meine dichtende Vertraute verloren.
    Die Lage besserte sich schließlich, als ich eine neue Freundin fand, Ann Powell. Sie hatte langes braunes Haar, traurige, braune Augen und ein melancholisches Lächeln. Annie, wie ich sie nannte, schrieb ebenfalls, hatte aber einen eher amerikanischen Ansatz. Sie war ein Fan von Frank O’Hara und von Gangsterfilmen und schleppte mich immer nach Brooklyn in Filme mit Paul Muni und John Garfield. Wir schrieben irre Drehbücher für B-Movies, und zu ihrem größten Vergnügen spielte ich ihr in unserer Mittagspause sämtliche Rollen vor. Unsere Freizeit verbrachten wir damit, in Trödelläden nach wichtigen Utensilien wie einem ganz speziellen schwarzen Rollkragenpullover oder dem perfekten Paar weißer Glacélederhandschuhe zu suchen.
    Annie hatte in Brooklyn eine Klosterschule besucht, stand aber auf Majakowski und George Raft. Ich war glücklich, jemanden zu haben, mit dem ich genauso gut über Dichtung wie überKriminalfälle reden oder die Vorzüge von Robert Bresson gegenüber Paul Schrader abwägen konnte.
    Ich verdiente bei Scribner etwa siebzig Dollar die Woche. Was nach Abzug der Miete übrig blieb, ging für Lebensmittel drauf. Ich musste dringend unsere Finanzen aufbessern und suchte nach zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten neben dem Arbeiten nach der Stechuhr. Ich durchkämmte Secondhandläden nach Büchern, die sich weiterverkaufen ließen. Ich hatte ein gutes Auge und entdeckte für wenig Geld manches seltene Kinderbuch oder signierte Erstausgaben, die ich für wesentlich mehr wieder losschlug. Die Gewinnspanne bei einer makellosen Ausgabe von Mr. Lewisham und die Liebe mit einer persönlichen Widmung von H. G. Wells finanzierte die Miete und die U-Bahn-Tickets für eine ganze Woche.
    Auf einer meiner Expeditionen fand ich für Robert eine Ausgabe von Andy Warhols Index Book mit leichten Gebrauchsspuren. Es gefiel ihm, ärgerte ihn aber auch, weil er selbst gerade an einem Buch mit Fold-outs und Pop-ups arbeitete. Im Index Book waren Fotos von Billy Name, von dem die berühmten Aufnahmen aus Warhols Factory stammen. Es enthielt eine Pop-up-Burg, ein rotes Akkordeon, das quietschte, einen Pop-up-Doppeldecker und eine Art Polyeder, aus einem haarigen Brustkorb gefaltet. Robert sah Parallelen zwischen Andy und sich. »Es ist gut«, sagte er zum Index Book, »aber meins wird besser.« Er konnte es kaum erwarten, aufzustehen und seine Arbeit wieder aufzunehmen. »Ich kann nicht einfach rumliegen«, sagte er. »Die ganze Welt hat mich schon abgehängt.«
    Robert war ruhelos, musste aber noch im Bett bleiben, weil sein Weisheitszahn erst gezogen werden konnte, wenn die Entzündung und das Fieber abgeklungen waren. Er hasste es, krank zu sein. Er stand immer zu früh wieder auf und hatte dann einen Rückfall. Anders als ich betrachtete er die Genesungsphase nicht im Geist des neunzehnten Jahrhunderts, nämlich als willkommene Gelegenheit, im Bett zu bleiben, um Bücher zu lesen oder lange, fiebrige Gedichte zu schreiben.
    Als wir eincheckten, hatte ich nicht die geringste Vorstellung, wie das Leben im Chelsea sein würde, aber ich erkannte schnell, dass wir ungeheures Glück gehabt hatten, hier zu landen. Für das, was wir zahlten, hätten wir eine großzügig bemessene Durchgangszimmerwohnung im East Village bekommen können, aber in diesem exzentrischen, verflixten Hotel fühlten wir uns nicht nur geborgen, es war auch die beste Schule, die man sich wünschen konnte. Dass wir mit so viel Wohlwollen aufgenommen wurden, bewies mir, dass die Schicksalsgöttinnen es gut mit ihren euphorischen Kindern meinten.
    Es dauerte seine Zeit, doch nachdem Robert wieder zu Kräften gekommen war, tat ihm Manhattan ebenso gut, wie mich Paris stärker gemacht hatte. Er konnte bald wieder aus dem Haus gehen und Arbeit suchen. Wir wussten beide, dass er mit einer Festanstellung nicht zurechtkommen würde, doch er nahm jeden Gelegenheitsjob an, den er kriegen konnte, vom Anstreichen bis zum Klaviertransport. Am meisten hasste er es, Bilder in Galerien abzuholen oder hinzubringen. Es ärgerte ihn, für Künstler zu arbeiten, die er für unfähig hielt, aber er bekam das Geld bar auf die Hand. Wir legten jeden Cent, der übrig war, hinten in eine Schublade zurück für unser vordringlichstes Ziel – ein größeres

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