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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Man sicherte sich einen Tisch und ein Tablett, dann ging man nach hinten, wo sich eine Reihe kleiner Fenster in der Wand befand. Man schob ein paar Münzen in den Schlitz, öffnete die gläserne Klappe und zog sich ein Sandwich oder frischen Apfelkuchen heraus. Wie in einem Tex-Avery-Zeichentrick. Mein Lieblingsgericht war Hühnerfrikassee oder Käse mit Senf und Kopfsalat auf einem Mohnbrötchen. Robert mochte ihre beiden Spezialitäten, überbackene Makkaroni und Schokoladenmilch. Robert wie Harry war es ein Rätsel, wie ich Horn and Hardarts berühmte Schokoladenmilch nicht mögen konnte, doch für ein Mädchen, das mit Bosco-Schokoladensirup und Trockenmilch aufgewachsen war, war sie viel zu fett, deswegen trank ich bloß Kaffee.
    Ich hatte permanent Hunger. Mein Stoffwechsel machte kurzen Prozess mit allem, was ich aß. Robert konnte wesentlich länger ohne zu essen durchhalten als ich. Wenn wir pleite waren, aßen wir einfach nicht. Robert konnte immer noch funktionieren, auch wenn er schon ein bisschen zittrig war, aber ich glaubte immer, gleich umkippen zu müssen. An einem nieseligen Nachmittag hatte ich Heißhunger auf eins dieser Käse-Salat-Sandwiches. Ich durchsuchte unser Hab und Gut und fand exakt die dafür nötigen fünfundfünfzig Cents, zog meinen grauen Trenchcoat an, setzte mir meine Majakowski-Mütze auf und machte mich auf zum Automaten-Imbiss.
    Ich schnappte mir ein Tablett und warf mein Geld ein, doch dieKlappe wollte nicht aufgehen. Ich versuchte es erfolglos ein zweites Mal und sah dann, dass der Preis auf fünfundsechzig Cents gestiegen war. Ich war bitter enttäuscht, um es milde auszudrücken, da hörte ich hinter mir jemanden sagen: »Kann ich behilflich sein?«
    Ich drehte mich um und erkannte Allen Ginsberg. Wir waren uns nie begegnet, aber das Gesicht eines unserer größten Dichter und Aktivisten konnte man gar nicht verkennen. Ich schaute in diese eindringlichen dunklen Augen, die durch seinen dunklen, lockigen Bart noch betont wurden, und nickte bloß. Allen gab mir den fehlenden Zehner und lud mich außerdem noch zu einem Kaffee ein. Ich folgte ihm stumm an seinen Tisch und biss dann herzhaft in mein Sandwich.
    Allen stellte sich vor. Er redete von Walt Whitman, und ich erwähnte gerade, dass ich in der Nähe von Camden aufgewachsen war, wo Whitman begraben liegt, als er sich plötzlich vorbeugte und mich aufmerksam musterte. »Bist du ein Mädchen?«, fragte er.
    »Ja«, meinte ich, »ist das ein Problem?«
    Er lachte nur. »Entschuldige, ich hatte dich für einen besonders hübschen Jungen gehalten.«
    Ich kapierte sofort, was Sache war.
    »Und? Heißt das, ich muss mein Sandwich zurückgeben?«
    »Nein, iss ruhig. War ja mein Fehler.«
    Er erzählte mir, dass er an einer langen Elegie für Jack Kerouac arbeite, der kürzlich gestorben war. »Drei Tage nach Rimbauds Geburtstag«, sagte ich. Ich gab ihm die Hand, und wir gingen unserer Wege.
    Später wurde Allen mein guter Freund und Lehrer. Wir erinnerten uns oft mit Vergnügen an diese erste Begegnung, und einmal hat er mich gefragt, wie ich dieses Kennenlernen beschreiben würde. »Ich würde sagen, du hast mich gespeist, als ich hungrig war«, sagte ich. Und das hatte er.
    In unserem Zimmer konnte man sich kaum noch umdrehen. Jetzt bewahrten wir hier nicht nur unsere Mappen, Bücher undKleidung auf, sondern auch die Sachen, die Robert in Bruce Rudows Raum gelagert hatte: feinen Maschendraht, Gaze, Seilrollen, Sprühdosen, Klebstoffe, Hartfaserplatten, Tapetenrollen, Badezimmerkacheln, Linoleum und Berge von alten Schwulenpornos. Er konnte nie irgendwas wegwerfen.Er sprang mit Männermaterial um, wie ich es noch nie gesehen hatte: Ausschnitte aus Schwulenmagazinen, die er von Sexshops auf der Forty-second Street hatte, integrierte er in Collagen mit sich überschneidenden Linien als visuelle Flaschenzüge. Ich fragte ihn, warum er nicht einfach selbst fotografierte. »Ach, ist so umständlich«, meinte er dann. »Dazu hab ich keine Lust, und die Abzüge wären auch zu teuer.« Er hatte am Pratt Institute fotografiert, war aber zu ungeduldig für die zeitaufwendige Arbeit in der Dunkelkammer.
    Schwulenpornos zu kaufen war allerdings auch eine Strafe für sich. Ich blieb immer vorne im Laden und guckte mir Paperbacks von Colin Wilson an, während Robert nach hinten ging. Es war einem etwas mulmig, so als täte man etwas Verbotenes. Die Typen, die diese Läden betrieben, waren meistens schlecht drauf, und wenn man ein

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