Just Kids
Ruskin, der Besitzer, war bekannt für sein Herz für Künstler und bot ihnen zum Preis eines Drinks sogar ein Gratis-Büffett zur Cocktail Hour. Man erzählte sich, dieses Büffett (einschließlich Buffalo Chicken Wings) habe eine Vielzahl darbender Künstler und Drag Queens vor dem Hungertod bewahrt. Ich kam nie in den Genuss, weil ich am späten Nachmittag noch bei der Arbeit war, und Robert, der nicht trank, war zu stolz dazu.
Über dem Eingang war eine große schwarz-weiße Markise flankiert von einer noch riesigeren Reklametafel, die einem verriet, dass man nun das Max’s Kansas City betrat. Drinnen war es informell und spartanisch, an den Wänden große abstrakte Kunstwerke, die Mickey von Künstlern bekam, die schier übernatürliche Getränkerechnungen hatten auflaufen lassen. Alles, abgesehen von den weißen Wänden, war rot: die Sitzecken, die Tischtücher,die Servietten; sogar ihre Spezialität, die Kichererbsen, wurde in kleinen roten Schälchen serviert. Die Hauptattraktion waren Steak und Hummer. Der in rotes Licht getauchte hintere Raum war Roberts Ziel, genau genommen war sein eigentliches Ziel der legendäre runde Tisch in jenem Raum, über dem immer noch die rosarote Aura des abwesenden Silver King schwebte.
Bei unserem ersten Besuch schafften wir es nur bis in den Vorderbereich. Wir setzten uns an einen Tisch, teilten uns einen Salat und aßen die ungenießbaren Kichererbsen. Robert und Sandy bestellten sich Cola. Ich trank einen Kaffee. Der Laden war ziemlich tot. Sandy hatte das Max’s noch erlebt, als es der Dreh- und Angelpunkt des Underground-Universums war, in dem Andy Warhol als unbeteiligt auftretender Herrscher Seite an Seite mit seiner Hermelin-Queen Edie Sedgwick die Tafelrunde regierte. Die Hofdamen waren schön, und zu den wechselnden Rittern zählten Leute wie Ondine, Donald Lyons, Rauschenberg, Dalí, Billy Name, Lichtenstein, Gerard Malanga und John Chamberlain. In jüngerer Vergangenheit hatte die Tafelrunde Fürsten wie Bob Dylan, Bob Neuwirth, Nico, Tim Buckley, Janis Joplin, Viva und den Leuten von Velvet Underground Platz geboten. Mehr düsteren Glamour konnte man sich kaum wünschen. Aber was durch ihre Adern schoss, was ihre Welt auf Hochgeschwindigkeit beschleunigte und sie dann erledigte, war Speed. Amphetamine potenzierten ihren Verfolgungswahn, beraubten einige ihres angeborenen Talents, erschütterten ihr Selbstvertrauen und verwüsteten ihre Schönheit.
Andy Warhol war nicht mehr oft hier, sein Hofstaat ebenso wenig. Andy ging sehr viel seltener aus, seit Valerie Solanas ihn angeschossen hatte, aber wahrscheinlich war es ihm, wie so vieles andere auch, einfach zu langweilig geworden. Trotz seines Ausbleibens war Max’s im Herbst 1969 immer noch die erste Adresse. Das Hinterzimmer war die Anlaufstelle für alle, die Einlass in Andys zweites silbernes Königreich begehrten, in dem allerdings eher Kommerz als Kunst regierte, wie es hieß.
Unser Debüt im Max’s verlief jedenfalls unspektakulär, und wir verprassten Sandy zuliebe unser Geld für ein Taxi. Es regnete, und wir wollten nicht zusehen, wie der Saum ihres langen schwarzen Kleids durch den Kot der Straße schleifte.
Eine Zeit lang gingen wir weiter zu dritt ins Max’s. Sandy waren diese Exkursionen mehr oder weniger egal, und sie diente als Puffer für meine unwillige, nervöse Zappeligkeit. Irgendwann fand ich mich damit ab, dass Max’s Teil des normalen Tagesablaufs mit Robert wurde. Ich kam nach sieben von Scribner heim, und wir gingen in irgendeinem Diner ein paar Grilled-Cheese-Sandwiches essen. Robert und ich erzählten uns, was über den Tag passiert war, und zeigten einander unsere Arbeiten, wenn gerade etwas fertig geworden war. Dann folgte stets eine Ewigkeit, in der wir uns den Kopf zerbrachen, was wir fürs Max’s anziehen sollten.
Sandy hatte keine große Auswahl in ihrem Kleiderschrank, achtete aber sehr auf ihre äußere Erscheinung. Sie besaß einige wenige identische schwarze Kleider von Ossie Clark, dem König der King’s Road. Sie sahen aus wie elegante, bodenlange T-Shirts, lose und trotzdem leicht figurbetont, mit langen Ärmeln und tiefem U-Ausschnitt. Sie waren so bestimmend für ihr Image, dass ich oft davon träumte, ihr einen ganzen Schrank voll davon zu kaufen.
Ich wählte meine Garderobe aus wie eine Statistin, die sich für einen französischen Nouvelle-Vague-Film zurechtmacht. Ich hatte ein paar Outfits, ein gestreiftes Fischerhemd kombiniert mit einem roten Halstuch,
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