Just Kids
wie Yves Montand in Lohn der Angst, dann einen Saint-Germain-Beat-Look mit grüner Caprihose und roten Ballettslippern oder meine Version von Audrey Hepburn in Ein süßer Fratz mit ihrem langen schwarzen Pullover, schwarzen Caprihosen, weißen Socken und schwarzen Ballerinas. Egal welches Szenario, ich brauchte normalerweise nur rund zehn Minuten, um mich fertig zu machen.
Robert machte aus der Wahl seiner Garderobe eine Performance. Er rollte sich einen dünnen Joint, kiffte erst mal undbetrachtete seine paar Kleidungsstücke, während er sich über seine Accessoires Gedanken machte. Er kiffte nur, wenn er unter Leute ging; es nahm ihm die Nervosität, aber auch jedes Zeitgefühl. Auf ihn zu warten, bis er sich entschieden hatte, wie viele Schlüssel er an seine Schlüsselkette hängen sollte, kostete schon Nerven.
In ihrer Liebe zum Detail waren sich Sandy und Robert sehr ähnlich. Die Suche nach dem richtigen Accessoire konnte sie auf eine ästhetische Schatzsuche führen, bei der sie Marcel Duchamp, die Fotografien von Cecil Beaton, Nadar oder Helmut Newton zurate zogen. Manchmal machte Sandy zu Studienzwecken ein paar Polaroids, was dann zu einer Diskussion darüber führte, ob Polaroids legitime Medien für Kunst seien. Irgendwann war immer der Shakespeare’sche Moment gekommen, da man die Schicksalsfrage stellen musste: drei Halsketten tragen oder nicht? Denn nur eine war ja zu dezent, und zwei hätten kaum eine Wirkung. Also hieß die nächste Frage, drei Ketten oder gar keine? Sandy verstand, dass Robert da eine künstlerische Gleichung aufstellen musste. Ich wusste es ebenfalls, aber für mich war die Frage einfach: hingehen oder nicht hingehen? Mit solchen diffizilen Entscheidungsfindungsprozessen hatte ich etwa so viel Geduld wie ein hyperaktiver Fünfzehnjähriger.
Am Halloweenabend, als aufgekratzte Kinder in ihren bunten Papierkostümen über die Twenty-third Street tollten, verließ ich unser winziges Zimmer in meinem Jenseits-von-Eden -Outfit, hopste über die weißen Felder des Schachbrettbodens und mehrere Treppen hinunter und stand dann vor der Tür unseres neuen Zimmers. Mr Bard hatte sein Versprechen eingelöst und mir den Schlüssel zu Zimmer 204 mit einem liebevollen Nicken in die Hand gedrückt. Das Zimmer lag Tür an Tür mit dem Raum, in dem Dylan Thomas seine letzten Worte geschrieben hatte.
An Allerheiligen packten Robert und ich unsere Habseligkeitenzusammen, schoben sie in den Aufzug und stiegen im ersten Stock wieder aus. Unser neues Zimmer lag auf der Rückseite des Hotels. Das Bad, das ein bisschen gewöhnungsbedürftig war, lag auf dem Flur. Aber das Zimmer war wirklich hübsch und hatte zwei Fenster, die auf alte Backsteingebäude und hohe Bäume hinausgingen, die gerade ihre letzten Blätter verloren. Es hatte ein Doppelbett, ein Waschbecken mit Spiegel und einen Vorratsschrank ohne Tür. Der Umzug gab uns neuen Schwung.
Robert reihte seine Spraydosen unter dem Waschbecken auf, und ich kramte in meinen Stoffballen, bis ich eine Bahn marokkanischer Seide fand, um damit den Schrankbereich zu verhängen. Wir hatten einen großen Holztisch, den Robert als Arbeitstisch benutzen konnte. Und da es im ersten Stock lag, konnte ich die Treppe herauf- oder herunterspringen – ich hasste es, Aufzüge zu benutzen. Ich betrachtete die Lobby praktisch als Teil unseres Zimmers, denn eigentlich war dort mein Stammplatz. Wenn Robert nicht da war, konnte ich dort schreiben und am Kommen und Gehen unserer Nachbarn teilhaben, die mir oft aufmunternde Worte zukommen ließen.
Robert blieb die meiste Zeit der Nacht auf und arbeitete an dem großen Tisch an den ersten Seiten eines neuen Fold-out-Buchs. Er verwendete dafür drei der Automatenfotos von mir mit meiner Majakowski-Mütze, und umrahmte sie mit Schmetterlingen und Engeln aus bedrucktem Kattun. Wie immer, wenn er mich in seine Arbeiten einbaute, kam eine sonderbare Freude in mir auf, so als würde ich durch ihn unsterblich.
Unser neuer Raum sagte mir mehr zu als Robert. Ich hatte alles, was ich benötigte, aber er war nicht groß genug, dass zwei Leute darin hätten arbeiten können. Da Robert den Tisch benutzte, klebte ich einen satinierten Bogen Arches-Papier an meinen Teil der Wand und begann ein Bild von uns beiden auf Coney Island zu zeichnen.
Robert machte Skizzen für Assemblagen, die er nichtrealisieren konnte, und ich konnte seinen Frust spüren. Ermutigt durch Bruce Rudow, der kommerzielles Potenzial darin erkannte,
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