Just Listen - Roman
genau hätte sagen können, warum. So viel wir auch zusammen unternahmen, so sehr sie ein alltäglicher Teil meines Lebens wurde, konnte ich doch nie vergessen, wie ekelhaft sie bei unserem ersten Treffen in der Snackbar zu mir gewesen war. Manchmal betrachtete ich sie, wenn sie malwieder eine ihrer Geschichten zum Besten gab oder quer auf meinem Bett lag und sich die Nägel lackierte, und fragte mich, warum sie sich so verhalten hatte. Und gleich darauf: Ob sie so etwas wohl wieder tun würde?
Trotz ihrer Angebertour war mir klar, dass Sophie ihre eigenen Probleme hatte. Ihre Eltern hatten sich erst kürzlich scheiden lassen. Immer wieder erzählte sie uns von den Sachen, die ihr Vater für sie gekauft hatte, als sie noch in Texas wohnten: Klamotten, Schmuck – was immer sie wollte. Doch eines Tages hörte ich zufällig mit, wie meine Mutter sich mit einer ihrer Freundinnen über die Trennung unterhielt: anscheinend eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Sophies Vater hatte seine Familie wegen einer wesentlich jüngeren Frau sitzen lassen, es gab wohl einen erbitterten Streit um das gemeinsame Haus in Dallas. Und angeblich hatte Mr Rawlings auch keinen Kontakt mehr zu ihnen, weder zu Sophie noch zu ihrer Mutter. Sophie selbst sprach nie darüber. Ich fragte auch nicht nach, sondern dachte mir: Falls sie darüber reden möchte, wird sie es irgendwann tun.
Dafür nahm Sophie ansonsten kein Blatt vor den Mund. Zum Beispiel rieb sie Clarke und mir dauernd unter die Nase, wie hoffnungslos rückständig wir seien. An uns war offenbar alles daneben: unsere Klamotten (für Kleinkinder), was wir zusammen unternahmen (stinklangweilig), unsere Lebenserfahrung (nicht existent). Mit einem Unterschied: Ich modelte, was sie interessant fand. Von meinen Schwestern – die sie allerdings beide genauso ignorierten wie mich – war Sophie sogar völlig hin und weg. An Clarke hingegen nörgelte sie ununterbrochen herum.
»Du kommst rüber wie ein Junge«, sagte sie eines Tages zu ihr, als wir durch die Mall spazierten. »Dabei könntestdu richtig gut aussehen, wenn du dich ein bisschen anstrengen würdest. Warum trägst du kein Make-up?«
»Darf ich nicht.« Clarke putzte sich die Nase.
»Blöde Ausrede! Als ob deine Eltern das mitkriegen müssten! Du schminkst dich eben, wenn du aus dem Haus bist, und machst es wieder weg, bevor du heimgehst.«
Aber Clarke war nicht der Typ für so etwas, das wusste ich. Sie kam gut mit ihren Eltern aus und hätte sie niemals belogen. Dennoch ließ Sophie nicht locker. Wenn es gerade mal nicht um Clarkes Make-up-Abstinenz ging, dann um ihre Klamotten. Oder um ihr ständiges Niesen. Oder darum, dass sie immer eine Stunde vor uns anderen zu Hause sein musste. Was zur Folge hatte, dass wir alles, was wir zusammen unternahmen, vorzeitig abbrechen mussten, damit sie rechtzeitig heimkam. Wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich vielleicht schon damals vorhersehen können, was später passierte. Doch so dachte ich wahrscheinlich bloß, dass wir uns auf Dauer aneinander gewöhnen und sich letztlich alles von allein in Wohlgefallen auflösen würde. Bis zu jener Nacht im Juli wiegte ich mich in dem (Irr-)Glauben.
Es war ein Samstag. Geplant war ein Abend bei Clarke. Ihre Eltern waren in einem klassischen Konzert, deshalb hatten wir das Haus für uns allein, konnten Tiefkühlpizza aufbacken und Filme anschauen. Ein typischer Samstagabend eben. Clarke und ich heizten schon den Backofen vor und sahen nach, welche Filme im Pay TV liefen, als Sophie auftauchte. Sie trug einen Jeans-Minirock, ein weißes Tank-Top, das die Bräune ihrer Haut besonders hervorhob, sowie weiße Sandalen mit hohen Absätzen.
»Wow!«, entfuhr mir, als sie hereinkam; ihre Absätze klackten auf dem Boden. »Du siehst toll aus.«
»Danke«, erwiderte sie, während ich ihr in die Küche folgte.
»Du bist ziemlich aufgebrezelt, nur für Pizza«, meinte Clarke und musste niesen.
Sophie lächelte. »Das ist nicht für Pizza.«
Clarke und ich wechselten einen Blick. Ich fragte: »Wofür dann?«
»Jungs.«
»Jungs?«, wiederholte Clarke.
»Jawoll.« Sophie schwang sich auf die Küchentheke und schlug die Beine übereinander. »Bevor ich heute aus dem Schwimmbad ging, habe ich mich mit ein paar Typen unterhalten. Die werden da heute Abend abhängen und meinten, wir sollen doch dazukommen.«
»Das Schwimmbad ist nachts geschlossen.« Clarke schob die Pizza auf ein Backblech.
»Und? Jeder geht hin. Was ist schon
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