Just Listen - Roman
Clarke.« Ich versuchte es dennoch immer wieder. Keine Antwort. »Es war blöd von mir, da mitzumachen. Tut mir echt leid, okay?«
Doch ganz offensichtlich war es nicht okay, denn sie schaute mich immer noch nicht an. Alles, was ich zu sehen bekam, war ihr steinernes Profil. Sie war so wütend und ich fühlte mich so hilflos, dass ich es nicht länger ertrug, neben ihr sitzen zu bleiben. Deshalb stand ich auf und verzog mich.
»Na und?«, meinte Sophie, als ich ihr davon erzählte. »Warum machst du dir überhaupt einen Kopf deswegen? Nur weil sie sauer ist?«
»Sie ist meine beste Freundin. Und jetzt hasst sie mich.«
»Sie ist bloß ein kleines Mädchen«, erwiderte Sophie, die vor ihrem Spiegel stand. Ich saß auf dem Bett und sah zu, wie sie ihre Bürste von der Kommode darunter nahm und sich ein paarmal damit durchs Haar fuhr. »Um ehrlich zu sein, Annabel, ist sie eine ziemliche Langweilerin. Ich meine, willst du wirklich so deinen Sommer verbringen? Karten spielen und ihr andächtig beim Schnäuzen lauschen? Ich bitte dich. Du hattest gestern Abend dein erstes Date mit Chris Pennington. Sei lieber glücklich.«
»Bin ich.« Doch ich war mir nicht einmal, während ich das sagte, sicher, ob es tatsächlich stimmte.
»Dann ist ja gut.« Sophie legte die Bürste beiseite, drehte sich um, sah mich an. »Komm, lass uns zur Mall gehen oder so.«
Und das war’s. Lange Jahre der Freundschaft, endlose Kartenspiele, Pizza-und-Fernseh-Abende, wechselseitigeÜbernachtungen – wie weggewischt. In weniger als vierundzwanzig Stunden. Rückblickend frage ich mich, ob wir uns am Ende nicht doch versöhnt hätten, wenn ich noch einmal auf Clarke zugegangen wäre. Aber ich tat es nicht. Die Zeit verging, beziehungsweise ich ließ sie vergehen. Meine Schuldgefühle und Scham rissen einen Graben zwischen uns auf, der immer breiter wurde. Vielleicht gab es einen Moment, da ich noch hätte hinüberspringen können. Doch schließlich war das andere Ufer so weit entfernt, dass ich es nicht mehr erkennen, geschweige denn einen Weg auf die andere Seite finden konnte.
Natürlich begegneten Clarke und ich uns auch weiterhin. Wir lebten schließlich im selben Viertel, nahmen jeden Morgen denselben Bus, gingen auf dieselbe Schule. Aber wir sprachen nie mehr ein Wort miteinander. Sophie wurde meine beste Freundin. Mit Chris Pennington hingegen lief gar nichts, Chris Pennington redete – trotz all der Dinge, die er mir im Dunkel jener Nacht ins Ohr gehaucht hatte – nie wieder mit mir. Clarke fand neue Freunde in der Fußballmannschaft, bei der sie im Herbst einstieg und sich bald als Mittelstürmerin in der Startaufstellung wiederfand. Am Ende wurden wir so verschieden, gehörten zu dermaßen unterschiedlichen Cliquen, dass man kaum noch glauben mochte, wie eng wir einmal befreundet gewesen waren. Wofür meine Fotoalben allerdings seitenweise Beweise lieferten: Wir zwei beim Grillen im Garten, beim Radfahren oder auf den Treppenstufen vor ihrem Haus, zwischen uns die unvermeidliche Kleenex-Schachtel.
Bevor ich Sophie kennenlernte, kannten mich die Leute eigentlich nur wegen meiner Schwestern und weil ich modelte. Doch seitdem wir Freundinnen waren, war ich plötzlich nicht nur allgemein bekannt, sondern sogar ziemlichangesagt. Und noch etwas hatte sich geändert. Sophies »besonderes Kennzeichen« – ihr freches Mundwerk, ihre Furchtlosigkeit, ja Dreistigkeit – eignete sich perfekt, um diverse Dramen in der Mittel- wie auch der Oberstufe unserer Highschool anzuzetteln. Sie schaffte es, bis dahin eingeschworene Cliquen rettungslos zu entzweien, und hatte absolut kein Problem, mit den Angeberinnen und Arrogantlingen unserer Schule fertig zu werden, die mich in der Vergangenheit mit ihrem Getuschel und Getratsche genervt oder gar verunsichert hatten. Sophie bildete gleichsam die Vorhut, in deren Windschatten ich mich auf dem schwierigen sozialen Parkett eines Teenagerdaseins wesentlich müheloser bewegte als vorher. Außerdem war ich auf einmal nicht mehr nur Zaungast, sondern mir standen alle Möglichkeiten offen, Spaß zu haben: neue Freunde, Partys, Jungs. Vor allem Jungs. Bis zu Sophies Auftauchen hatte ich eigentlich immer nur staunend und neidisch zugeschaut. Jetzt rückte all das in greifbare Nähe. Und zwar ausschließlich wegen Sophie. Was die anderen Dinge, die ich hinnehmen musste – ihre Launenhaftigkeit beispielsweise oder das, was mit Clarke passiert war –, fast aufwog. Fast.
Was sich
Weitere Kostenlose Bücher